Grenzgänger
Da aber niemand sie leiten wollte, boten sich Djinns und andere Geister an und schöpften nicht wenig Reichtum und Verehrung aus ihren Geschäften. Wer das als Einwanderer nicht schaffte, hatte es schwer. Kappas erging es oft so, weil sie selbst mit einer optischen Tarnung nicht über gewisse Dinge hinweg täuschen konnten. Fischiger Körpergeruch gehörte dazu.
Kay betrat den leeren Vorraum und sah sich um. »Wo hat sie den Kappa umgerannt?«, fragte er Feng, der auf eine der abzweigenden Hallen weiter vorn deutete.
Auf dem Weg dorthin versuchte Kay sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Hier waren viele Abdrücke von Wesen der verschiedensten Art. Er kam sich vor wie ein Hund, der zu viele Duftspuren roch.
»Schwer?«, fragte Feng neben ihm.
Kay nickte. »Die Fetzen der alten Schutzzauber des Djinns sind auch keine Hilfe.«
»Ich habe mich schon gefragt, was mir Gänsehaut verursacht.«
Kay lächelte. »Ich hätte gedacht, dass du es eher als ich bemerken würdest.«
Feng schüttelte den Kopf. »Ich bin in Zaubern und Flüchen nicht so bewandert wie ihr Fey. So etwas gehört eher zu den Alten.«
»Stell dein eigenes Licht nicht so ungebührlich bescheiden unter den Scheffel.«
»Für einen Drachen bin ich jung«, erwiderte Feng und blieb stehen. »Hier war es in etwa.«
Kay hockte sich hin und legte seine Handfläche auf den Boden. »Er stand zwar hier, aber ich spüre nichts Außergewöhnliches.«
»Die Frage ist, wo sein Mörder ihn getroffen hat. Das Industriegebiet ist zwar in der Nähe, aber es sind doch ein paar Kilometer.«
Kay richtete sich wieder auf. »Vielleicht finden wir draußen etwas.«
Auch vor der Tür war nichts zu erspüren. Kay war frustriert. Feng sah auf seine Schuhspitzen und rieb sich nachdenklich über das Kinn.
»Was ist?«, fragte Kay, während er mit den Schuhen einige Blätter zur Seite schob. Es war zwar spät im Jahr, aber hier schneite es selten bis nie. Der Unrat des Jahres und alles, was von den Bäumen fiel, blieb liegen.
»Hast du auch dort nach Magie gesucht, wo wir den Kappa gefunden haben?«
Kay atmete tief ein. Wie hatte er so etwas Einfaches vergessen können?! »Ich verdammter Idiot! Los, steig ein.«
Kay brachte die Entfernung in Rekordzeit hinter sich. Die Halle war noch immer leer. Er blieb vor der Fundstelle stehen und sah sich um. Ein kalter Hauch schien ihm über den Nacken zu streichen und Kay zuckte zusammen.
»Was ist? Haben wir alles verbrannt?«, fragte Feng atemlos.
»Nein, hier ist tatsächlich noch etwas!«
»Was?«
Kay hob die Hand und griff nach einem goldenen Energiefaden in der Luft. Er schwenkte ihn vor Fengs Gesicht. »Das ist von mir!«
»Ein Haar?«
»Nein. Das ist ein Fetzen von dem Alarmzauber, den ich vor Agnes Marbergs Haus gewoben habe«, erklärte Kay ruhig.
»Die Christin?«
Kay dachte darüber nach. Der Faden brach das Neonlicht.
»Das heißt also, der mysteriöse Verehrer ist auch der Mörder des Kappa?«
»Es ist zumindest jemand hier gewesen, der sich auch in Agnes Wohnung aufgehalten hat. Und er ist kein Mensch.«
»Wer weiß, vielleicht hat Frau Marberg ja heute gewollten Besuch in ihrem Schlafzimmer gehabt?«
Kay schnaubte. »Das denke ich eher nicht. Sie scheint dafür nicht … die richtige Art Frau zu sein.« Er ging hinaus und Feng folgte ihm.
Kay klingelte an Agnes Marbergs Tür. Er hatte während der Fahrt angerufen und seinen Besuch angekündigt. Als Agnes die Tür öffnete, musterte er sie besorgt. Sie war blass und die Wangen eingefallen. Die dunklen Augen traten noch stärker hervor.
»Ist etwas passiert?!«
Für einen Moment schien sie ihn nicht zu erkennen. Dann brach sie plötzlich in Tränen aus. Kay schob die Tür zur Seite und Agnes sackte gegen ihn, als hätte sie keine Kraft mehr in den Beinen.
Feng schloss die schwere Holztür hinter sich. Agnes weinte immer noch. Sie schluchzte nicht, aber ihre Schultern zuckten. Kay hielt sie fest. Ihm war es nicht peinlich, aber er fragte sich was passiert war, das eine derart heftige Reaktion auslöste.
Als sie sich gar nicht mehr beruhigen wollte, führte er sie in die Küche und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Schlafzimmer. Feng nickte und verschwand durch die Tür.
»Setzen Sie sich«, murmelte Kay in das dunkle Haar. Agnes nickte schwach und ließ sich auf den Stuhl ihres Küchentisches gleiten. Kay blieb stehen und strich ihr immer wieder beruhigend über die Schulter. »Geht es wieder?«, fragte er nach einer Weile und sie nickte.
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