Grenzgänger
sich, als er den leisen Vorwurf in meiner Stimme hörte. »Kappas trinken Blut, ähnlich wie Vampire. Will man sie davon abhalten, verbeugt man sich vor ihnen. Die Höflichkeit gebietet, dass sie es genauso machen und dadurch verlieren sie ihre Blase.«
Ich zog den Kopf zwischen die Schultern. »Entschuldige«, murmelte ich kleinlaut, nach dem unüberhörbarem Tadel. Dass der Kappa mein Blut trinken wollte, hatte ich ja nicht ahnen können.
»Du konntest es nicht wissen.« Er sah aus dem Fenster.
»Das ist das Problem, oder? Ich weiß vieles nicht.«
»In der Tat.«
»Toll«, brummte ich und trat das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf. Zum Glück hatte ich eine freie Straße vor mir.
Feng sah wieder zu mir. »Lass den Wagen in Ruhe. Ich wollte dich damit nicht abwerten.«
»Ich weiß. Es ist trotzdem frustrierend.«
Feng verdrehte die Augen. »Das sind Arbeitserfahrungen. Die kannst du noch nicht mitbringen«, erwiderte er. Als würde mich das beruhigen. »Für heute musst du nur wissen, dass wir es mit diesen Kobolden zu tun haben. Sie kommen ursprünglich aus Asien und sind ziemlich schwierig. Erst recht, wenn ein Mensch dabei ist. Aber in diesem Fall geht es um wichtigeres als um Blut.«
»Also Mord?«
»Das finden wir noch heraus.«
Im Industriegebiet herrschte reger Betrieb. Viele Arbeiter lagen in den letzten Zügen ihrer Mittagspause und kamen von den Kantinen oder standen noch vor den Firmeneingängen, um zu rauchen.
Die meisten Bauten bestanden aus großen, klotzartigen Hallen, die mich stark an die Disco auf dem Feld erinnerten. Das war keine natürlich gewachsene Gegend, sondern ein reines Zweckareal. Hierher kam man zum Arbeiten und ging so schnell wie möglich wieder.
»Wo müssen wir hin?«
Feng lotste mich zu den Gebäuden eines Paketdienstes, dessen Firmenzeichen überdimensional auf den Außenwänden der Hallen prangte. Wir parkten auf dem Parkplatz vor einer der Hallen und nach dem Aussteigen ging Feng zu einer grauen Stahltür. Er bewegte sich sehr zielstrebig, und für einen Mann seiner Größe auch erstaunlich geschmeidig. Meine Gedanken wanderten bei seinem Anblick aber immer wieder zur vorangegangenen Nacht, und zu der Erinnerung, wie Samhiel sich auf der Bühne bewegt hatte. Ich fuhr mir über die Augen. Dafür war jetzt wirklich keine Zeit.
Kaum hatte Feng die Tür geöffnet, schlug mir lauter Maschinenlärm entgegen. Das Licht wirkte staubig. und durch die Neonlampen an der Decke trotzdem steril. Ich schloss die Tür hinter mir und damit auch das kleinste bisschen Sonnenstrahl aus. Hier spielte weder Wetter noch Tageszeit eine Rolle.
Auf dem Betonboden war mit gelbem Klebeband ein Weg markiert, aber Feng verließ ihn schon nach ein paar Schritten und verschwand zwischen zwei Packmaschinen, die große Pakete vorsortierten. Ich folgte ihm rasch, auch wenn ich sonst niemanden in der Halle sah. Das hätte mir noch gefehlt, dass ich an meinem ersten Arbeitstag wegen Hausfriedensbruch verhaftet wurde.
Feng ging weiter, immer an der Wand entlang, bis er vor einem Fließband stehen blieb. Kay stand davor und nickte uns zu, als wir eintrafen.
»Hast du ihr gesagt, worum es geht?« sagte er ohne jede weitere Begrüßung.
Feng nickte und Kay winkte mich näher. Er sah noch immer aus, als käme er direkt aus einem Bankmeeting. Die elegante Kleidung und seine sehr sparsam eingesetzten Bewegungen wirkten in der Halle deplatziert. »Sieh ihr dir an und sag mir, ob das der gleiche Kappa ist, den du vorletzte Nacht getroffen hast.«
»Getroffen ist vielleicht zu viel gesagt.« Ich hatte mich während des Sprechens gebückt, um unter das Fließband zu sehen, wohin Kay gerade gezeigt hatte. Das was ich dort sah, nahm mir jedes Wort aus dem Mund.
Was mich dort in der Dunkelheit unter dem Band erwartete, hatte Ähnlichkeit mit einem mumifizierten Affen. Die Haltung war die eines Embryos; die Beine angezogen, die dürren Ärmchen eng an den vertrockneten Leib gepresst. Die Lippen, ehemals wulstig und wie ein Schnabel geformt, waren durch die Trockenheit zurückgezogen und ließen den Leichnam die Zähnen blecken, als würde er grinsen. Auf dem Kopf war keine Schädeldecke, sondern nur eine tiefe Mulde, die aussah, wie eine Schale. Der winzige Haarkranz darum sah aus wie ausgeblichenes Riedgras. Die Augen waren verschwunden; der Schädel glotzte mich aus leeren toten Augenhöhlen an.
Ich fuhr zurück und schnappte nach Luft. Plötzlich war es sehr viel kälter in der Halle
»Und?«, fragte
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