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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Behrmann
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nicht so abwegig. Sonst denkst du wirklich, deine nächste Nahrung wird ein ebensolcher Quell der… sagen wir, Freude für dich sein.«
    Elandros schmunzelte und nickte Ian zu. Der verschwand durch die Tür nach draußen. Ich fühlte wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. »Mir reicht das. Wirklich. Ich habe Ian nur gebissen, weil er so darum gebettelt hat…«
    »Bitte.« Elandros hob eine Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. »Kein Klagen über deine angebliche Unfähigkeit anderen Lebewesen Schaden zuzufügen. Davon höre ich genug.«
    »Und was ist, wenn ich sage, ich kann kein Blut sehen?«
    Elandros antwortete nicht, aber sein blinder Blick auf die roten Flecken, die sich auf dem Bettlaken ausgebreitete hatten, tat sein übriges.
    »Ich werde trotzdem niemand die Kehle zerfetzen.«
    »Du kannst dich von deinen Klischeevorstellungen lösen«, erwiderte Ian, der mit einem Beutel in der Hand, wieder ins Zimmer kam. Der Beutel war durchsichtig, hatte zwei kleinere Zugänge am oberen und unteren Ende und war mit einer dicken roten Flüssigkeit gefüllt. Einem Teil von mir – wahrscheinlich dem menschlichen – wurde bei dem Gedanken an die dickliche Flüssigkeit schlecht. Der Teil aber, der mir die langen Zähne beschert hatte, frohlockte bei dem Anblick. Meinem Magen wurde das Gefühlschaos zu viel. Nur mit Mühe konnte ich ihn davon abhalten, Ians kostbaren Lebenssaft wieder auf den Boden zu befördern.
    Die Bluthure hielt mir den Beutel hin. Ich sah misstrauisch auf das Plastiksäckchen herunter. Ian grinste: »Das gleiche wie eben: Mund auf…«
    »Schon gut«, erwiderte ich, bevor er wieder mit seiner Umgarnung beginnen konnte. Ich nahm ihm den Beutel ab und schnupperte daran. Der bittere Geruch von Plastik schlug mir entgegen. Wenig Appetitanregend.
    Ich sah auf und bemerkte, dass Elandros den Kopf in meine Richtung gedreht hatte. Er schien mich genau zu beobachten, auch wenn durch seine weiß-blinden Augen nichts sah. Ian feixte neben ihm, um mich endlich dazu zu bringen, zu trinken.
    Ich sah wieder auf den Beutel. Dann biss ich zu.
    Der erste Tropfen, der durch das neu entstandene Loch drang, war kalt. Es war ein unangenehmes Gefühl – als ob man eine heiße Kartoffelsuppe erwartet hätte, und stattdessen einen Löffel Gazpacho serviert bekam. Der zweite Tropfen war bitter; und dann überflutete ein ganzer Schwall Blut meinen Mund. Ich schluckte und warf den Beutel fort.
    Mir war schlecht und ich versuchte, das Würgen zurückzuhalten. Elandros nickte mitfühlend. »Ein wenig anders als Ian, nicht wahr?«
    Ich nickte mühsam und versuchte weiterhin krampfhaft den ekelhaften Schluck bei mir zu behalten. Wo Ians Blut nach Süße, Euphorie und einem Hauch Lust geschmeckt hatte, war hier nur dröge, abgestandene Langeweile. Das Blut war kalter Zigarettenrauch und ich schauderte noch immer bei dem Gedanken daran. Während des Trinkens hatte ich ein endloses Leben von immer gleichen Tagen vor mir gesehen und die Gewissheit verspürt, dass es absolut nichts gab, was mich daraus retten konnte. Außer vielleicht einer geladenen Pistole oder ein paar Schlaftabletten.
    Wieder schüttelte ich mich. Elandros hob den Beutel auf, aus dem das Blut auf den Boden sickerte. Mir fiel einmal mehr auf, dass er sich für einen Blinden überraschend gut orientierte. Ich dem Anblick seiner Blutrettungsaktion verspürte einen kurzen Stich – das Parkett war wohl versaut und ich war schuld.
    Elandros gab den Beutel an Ian, der ihn wegtrug. »Das war Blut, das wir einem Freiwilligen abgenommen haben. Er bekam Geld und wie du vielleicht bemerkt hast, ist er nicht sonderlich glücklich in seiner momentanen Situation.«
    Ich nickte und versuchte das Bild der ewig gleichen Nachmittage abzuschütteln.
    »Das war jetzt nur das Blut von jemand, der es freiwillig gegeben und bei der Abnahme an nichts Bestimmtes gedacht hat. Vielleicht war es der nächste Wocheneinkauf, oder welchen Film er sich ausleiht.« Etwas änderte sich in Elandros Stimme. Sie wurde kühler. Beängstigender. »Aber was wäre, wenn er nicht ruhig auf einem Stuhl mit der Nadel im Arm gesessen hätte? Wenn er stundenlang gehetzt, gejagt worden wäre? Um sein Leben hätte laufen müssen, den Kopf immer halb zur Seite geneigt, um über der Schulter nach seinem Verfolger zu sehen? Wie, denkst du, hätte sein Blut dann geschmeckt?«
    Ich biss mir auf die Unterlippe Kopf und konnte meine Augen nicht von Elandros Gestalt nehmen. Furcht und Faszination fesselten

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