Grenzgänger
Rand seiner Wahrnehmung auf und Kay blieb stehen, um sich auf den Punkt konzentrieren zu können Es war nicht das Kleinod, das er Feng gegeben hatte, aber ein schwacher Abglanz davon. Kay schlug die Augen auf.
Die Sonne kämpfte sich in seinem Rücken durch die Nebelschwaden. Er war froh darum, denn so würde er die volle Kraft des Morgengrauens nutzen können.
Der Punkt befand sich jetzt direkt vor ihm und als er durch die offene Tür des Fabrikgebäudes ging, wurde der schwache Glanz der Magie in wenig stärker. Nicht, weil er näher kam, sondern weil Kay seine Kraft besser entfalten konnte. So oft waren dem Fey im Menschenreich die Hände gebunden, nur in diesen wenigen kostbaren Minuten lockerten sich seine Fesseln ein wenig.
Kay schob das Tor so weit wie möglich auf und ging hinein. Er fand die Stelle, an der die Fotos lagen, sehr schnell. Eines davon lugte zwischen den Kisten hervor und er hob es auf. Es war Agnes Bild. Er steckte es ein und strich mit den Schuhspitzen über den Boden. Der Staub war aufgewirbelt worden. Ein Kampf.
Kay kniete sich hin und schnupperte. Der scharfe Geruch von Schießpulver stieg ihm in die Nase. Wahrscheinlich von Fengs Waffe.
Er entdeckte die restlichen Bilder, hob sie vorsichtig auf und steckte sie zu den anderen, ehe er sich wieder aufrichtete. Langsam ging Kay weiter, sich aufmerksam umsehend. In diesem Teil des Lagerhauses war keine Spur von irgendwelchen Personen zu erkennen. Der Staub war nicht angerührt worden.
Kay hob die Hand und pflückte einen der Sonnenstrahlen aus der Luft. Er schob ihn mit konzentrierter Miene zusammen, als wäre er Ton, knetete und drückte ihn, bis er sich zu einer winzigen Kugel aus goldenem Sonnenlicht geformt hatte. Die Kugel warf er mit einem Murmeln in die Luft. Dort blieb sie hängen, wie von unsichtbaren Fäden gehalten, und streckte blitzartig mehrere Fühler aus. Wie Blitze tasteten sie sich über den Asphalt, die staubigen Planen, den Boden. Die Prozedur wiederholten sie, bis einer von ihnen gleißend aufleuchtete und ein weiterer schwach glühte. Die restlichen Tentakel verschwanden sofort, ebenso wie die Kugel. Aber das genügte.
Kay schob hastig einige Kisten beiseite, bis er an die gegenüberliegende Wand gelangen konnte. Dort, wo der schwächere Tentakel aufgeglüht war, lag eine Reisetasche. Sie war nicht besonders groß und es befand sich nicht viel mehr darin als einige Amulette und geschnitzte Anhänger. Er ließ sie wieder sinken und näherte sich der Stelle, auf die der größte Tentakel gedeutet hatte. Dort war eine große Holzkiste, die direkt an die Wand gerückt war. Weder dahinter noch daneben befand sich etwas interessantes, auch nicht, als Kay sie von der Wand wegrückte.
Etwas fiel im Innern der Kiste mit einem dumpfen Pochen zur Seite.
Kay zögerte. Er ahnte etwas, hatte es bereits, als er die Kiste verschoben hatte. Und wegen dieser Ahnung fürchtete er sich auch vor dem, was er sehen würde, wenn er den Deckel öffnete.
Das war der Nachteil des Zwielichtes: die Magie setzte mit aller Macht ein, und ließ sich nicht mehr kontrollieren.
Ich bin schon viel zu lange in dieser verfluchten Welt, dachte Kay, während er den Deckel vorsichtig anhob. Er gehörte zu einer einfachen Pressholzkiste, deren flachen Deckel man bei längeren Transporten mit Nägeln befestigte. Hier hatte man darauf verzichtet. Kay hob den Deckel der Kiste an und schob ihn zur Seite. Mit einem dumpfen Klappern fiel er auf den Boden. Es hallte überlaut im Lagerhaus wieder.
Der Fey beugte sich dann vor, um ins Innere der Kiste zu spähen.
Feng war wach, aber er konnte die Augen nicht öffnen. Als er es versuchte, durchzuckte heißer Schmerz seine Augenlieder, weswegen er es bei einem Versuch beließ. Stattdessen bewegte er erst vorsichtig die Arme, dann die Beine. Sowohl Hand- als auch Fußgelenke waren gefesselt. Er lag und hatte seine geballten Fäuste auf dem Bauch. Soweit er es bisher fühlen konnte, tat ihm, bis auf die Lider, nichts weh. Trotzdem atmete er unmerklich flacher. Da er nichts sehen konnte, wusste er auch nicht, wo er war oder ob jemand ihn beobachtete.
Der Drache versuchte, jeden Anflug von Angst oder Panik zu unterdrücken. Irgendjemand… irgendetwas hatte ihn überwältigt, soweit erinnerte der Hüne sich noch. Gesehen hatte er nicht viel. Nur zwei glühend-rote Punkte, wie aufgerissene Augen.
Roumond musste einen Partner haben, auch wenn Feng sich nicht erklären konnte, wie der in das Lagerhaus gekommen war.
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