Grenzgänger
Wenn er bereits vorher drin gewesen war, wäre es dem Drachen aufgefallen. Reinschleichen war auch unmöglich – während seiner ganzen Zeit im Lager hatte er die Tür im Blick gehabt. Und als Roumond aufgetaucht war, hatte Feng nichts gesehen. Oder doch? Was war mit dem Schemen gewesen? Bisher hatte Feng ihn für Roumonds Silhouette gehalten, aber wenn er sich irrte?
Eine Tür wurde aufgeschoben und die näherkommenden Schritte hallten. Es musste ein leerer Raum sein, in dem er sich befand.
»Ich hoffe, du bist mittlerweile aufgewacht, Drache«, verkündete Roumonds exotisch angehauchte Stimme. Etwas schabte und dann raschelte Kleidung. Der Vampir hatte sich hingesetzt.
»Leider kann ich das nicht kontrollieren«, fuhr Roumond im Plauderton auf und stieß Feng mit dem Fuß in die Seite. Der stöhnte leise auf. »Wir mussten dir die Augen verkleben. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit du nicht den ausgefallenen Vorlieben meines Partners zum Opfer fällst.«
Wieder antwortete Feng mit einem Stöhnen als er bemerkte, warum er die Augen nicht öffnen konnte – Roumond hatte ihm Panzertape über die Augen geklebt.
»Soll ich dir davon erzählen?«, erkundigte der Vampir sich leutselig. Wieder raschelte Stoff und der Gestank von abgestandenem Blut schlug Feng entgegen. Roumond hatte sich herab gebeugt. Feng rollte sich auf die Seite.
»Anscheinend nicht. Schade. Ich komme in letzter Zeit nicht dazu, viel Konversation zu betreiben.«
»Kann mir gar nicht vorstellen, wieso«, murmelte Feng. Endlich setzten die weltlichen Einflüsse wieder bewusst ein – und mit ihnen die Kälte. Anscheinend lag er auf nacktem Boden und so wie es sich anfühlte, war der keine Verbesserung zu dem im Lagerhaus.
»Amüsant«, bemerkte Roumond trocken. »Möchtest du mich nicht wenigstens fragen, warum du noch am Leben bist?«
»Mitternachtsimbiss?«, riet Feng. Er wollte nicht reden, auch wenn es ihn interessierte, warum der Vampir ihn verschleppt hatte. Und erst recht wollte er nicht fragen, was das für ein rotäugiges Ding gewesen war, das die Silber-Eisen Kugeln mit einer solchen Leichtigkeit weggesteckt hatte?
»Du wirst nicht als Komiker bezahlt.« Roumonds Stimme wurde langsam schneidend.
»Also scheidet das auch als Grund aus.« Feng lachte freudlos.
»Ich kann dich auch einfach hier unten verrotten lassen.«
»Ich denke nicht.« Feng drehte sich wieder auf den Rücken. »Du hast mich hierher gebracht, weil du irgendetwas vorhast. Ansonsten hättest du mir schon im Lagerhaus die Kehle aufgerissen.«
Roumond kicherte wieder. »Ja, das Lagerhaus… Aber natürlich hast du Recht. Ich, nein, wir brauchen dich noch.«
»Und wozu?«, fragte der Drache schließlich doch entgegen besseren Wissens.
»Hast du die Fotos gesehen?« Stuhlbeine scharrten über den Boden und rhythmisches Klopfen deutete auf einen Takt hin, der mit der Schuhspitze geschlagen wurde.
Feng brummte eine Zustimmung.
»Dann kannst du es dir nicht denken?«
Feng seufzte. »Welche von den Dreien willst du haben?«
»Oh, frag lieber, welche von den Dreien ich noch nicht gehabt habe.«
»Agnes lebt noch und Arien ist verreist.« Feng musste sich beherrschen, um nicht einfach wie ein Tier loszubrüllen. Roumonds Worte hatten einen empfindlichen Punkt getroffen.
»Damit beantwortest du deine Frage selbst.«
Feng schluckte und versuchte zu verstehen, was Roumond meinte. Arien war außer Landes, aber Agnes hätte er ohne weiteres angreifen können. Trotz allem lebte sie noch. An Feline würde er keinen Gefallen mehr finden – Vampire bissen nur ungern andere ihrer Gattung.
»Feline ist ein Vampir«, sagte er.
Roumond stand auf. Der Stuhl glitt mit einem schrillen Quietschen zurück. »Tatsächlich? Umso besser. Viel macht es jetzt ohnehin nicht mehr aus.«
»Ich nehme an, dann willst du nicht ihr Blut? Was willst du dann von den Dreien?«
»Blut! Das ist alles, woran ihr denken könnt!«, schnappte Roumond. Seine Stimme klang schrill. »Blut saufen, jagen, eure kleinen Kulte und Geheimnisse pflegen – mehr ist in eurem verrottetem Gehirn nicht zu finden!« Der Stuhl knallte hörbar an die Wand. »Das ist nicht natürlich! Das war nicht geplant!«
»Ebenso wenig wie der Kappa?«, riet Feng.
Roumond schnaubte und seine Stimme überschlug sich. »Er hat sie angefasst – er hätte sie getötet!«
Feng verhielt sich während dem Ausbruch des Vampirs still. Langsam gewöhnte er sich an die Umgebung und damit auch an deren Luftverhältnisse. Seine
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