Grenzgänger
leeren Flaschen und alten Latexhandschuhen. Er hatte es doch gesehen, es musste hier sein!
Endlich legten sich seine Finger um kaltes Eisen. Ein großes Kreuz aus vier gleichlangen Stangen kam zwischen dem ganzen Plunder hervor. Es prickelte in Kays Hand, aber er packte das Radkreuz fester und kam um den Wagen herum.
Der Unseelie untersuchte gerade Ariens Haar, nuckelte an den Spitzen. Kay holte aus.
Der erste Schlag traf den Unseelie an der Schläfe. Er grunzte und schüttelte verwirrt den Kopf, bis der Schmerz einsetzte. Das Grunzen wurde zu einem lauten Heulen und er hob die Tentakel an die verwundete Stelle. Sie sah aus, als hätte Kay mit einem lodernden Holzscheit zugeschlagen.
Er holte abermals aus und das Eisen traf mit einem hässlichen Knirschen das Gesicht des Unseelie. Kay sah ihn mit einem spitzen Kreischen zu Boden gehen. Das reichte ihm. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte Kay echte, markerschütternde Angst in sich. Er hob Ariens Körper auf und lief durch die Tiefgarage nach draußen. Die wenigen Meter von der Parkbox bis zur Ausfahrt dehnten sich mit jedem Schritt, wurden zu unüberwindlichen Entfernungen. Das Gurgeln und der Atem des Unseelie zeigten ihm, dass das Wesen ihm dicht auf den Fersen war. Kay konnte den stinkenden Atem seines entfernten Verwandten förmlich im Nacken spüren. Instinktiv drückte er Ariens Körper fester an sich und duckte sich, rannte gegen seine Angst und die Entfernung bis zum Ausgang an.
Endlich! Das helle Rechteck der Einfahrt tauchte vor Kays Augen auf und er beschleunigte noch einmal so gut es ging. Mittlerweile atmete er keine Luft mehr, schien es ihm, sondern nur noch brennendes Gas und er biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien. Er brauchte seine Kraft um so schnell wie möglich wieder ans Tageslicht zu kommen. Die Schranke vor der Ausfahrt war heruntergelassen, aber er drückte sich daran vorbei.
Ohne Ariens Körper wäre er schneller gewesen, aber er rannte solange, bis seine Lungen brannten. Erst als seine Beine drohten einzuknicken sah er zurück. Hinter ihm befand sich das alte Gebäude des Büros, das sie vor wenigen Jahrzehnten erst eröffnet hatten.
Er wagte es stehen zu bleiben und spürte Ariens Gewicht nur allzu deutlich auf seinen steifen Armen.
Nichts kroch aus der Einfahrt der Tiefgarage und alles, was er hörte, war sein eigener, pfeifender Atem und die Schreie der wenigen Möwen am Hafenbecken.
Um sicher zu gehen, bog Kay in eine Seitenstraße ein, die nicht mehr war, als ein ausgetretener Weg zwischen alten Himbeersträuchern und kleineren Müllabladeplätzen.
Umsichtig legte er Ariens Körper auf einem braunen Stück Rasen ab und ging in die Hocke. Das blonde Haar hatte sich zum größten Teil aus dem Zopf gelöst und hing ihm wirr in die Stirn. Abwesend wischte sich Kay den Schweiß weg und atmete tief ein. Seine Lungen nahmen ihm seinen unfreiwilligen Sprint noch immer übel und loderten in seiner Brust. Er legte den Kopf in den Nacken und atmete trotz der Schmerzen tief ein.
Über ihm färbte sich der Himmel langsam rot. Abenddämmerung.
Kay bückte sich und nahm wieder Ariens Körper auf. Es wurde Zeit.
Er machte einen Schritt nach vorn. Anstelle des spröden aufgerissenen Asphalts, berührte sein Fuß weiche Erde und Gras. Das Licht einer gerade aufgehenden Sonne lag über der wogenden Ebene. Sie würde niemals ganz aufgehen. Anders als in seinem Garten, der nur ihm gehörte und sich seinen Wünschen anpasste, war dies hier etwas, was die Fey nicht besaßen. Dieses Land besaß die Fey.
Kay zögerte einen Augenblick. Er hielt noch immer Ariens toten Körper in den Armen. Er wusste, wohin ihn sein Weg führen musste, aber der erste Schritt dahin war schwer.
Arien war ein Kind seines Clans, seiner Familie. Sie musste dorthin gehen, wohin es auch tote Elfen verschlug. Aber da kaum Elfen starben, war es für sie jedes Mal ein Schock, wenn einer von ihnen für immer fortging. Keiner begrub seine Toten gerne. Die Seelie-Sidhe hatten es fast verdrängt.
Kay machte einen Schritt. Und noch einen. Der Weg wurde nicht leichter, aber er ging ihn. Während er dem kaum noch sichtbaren Pfad folgte, summte er leise. Worte fielen von seinen Lippen und er sang, ohne es recht zu bemerken. Er sang, um seine Gedanken davon abzuhalten ihm von Schuld zu erzählen, von Schuld und der Sühne, die er leisten musste.
Schuld.
Kay sang lauter.
Die Sonne sah noch immer kaum über den Horizont, als der Seelie-Sidhe vor drei Bäumen auf
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