Grenzgang
nach seinem Hintern, erstaunt über die Erektion, die gegen ihren Schoß drückte, und widerstand dem Drang, sich bei ihm zu entschuldigen. Die Dinge lagen komplizierter, als er ahnte, aber auf sie war Verlass. Kleine Krisen gehörten dazu (Krisen? Was für eine Krise? Ihre Mutter hatte gerufen!). Seine Finger wollten unter ihren Minirock, aber sie boxte ihm auf die Brust und sprang von der Bank.
Hans-Peter Preiss und seine Frau zogen in Zweier-Polonaise durchs Gedränge. Auf dem Holzboden des Zeltes bildeten sich Bierlachen.
Vergeblich hielt sie Ausschau nach Anita, während sie sich zum rückwärtigen Ausgang durchkämpfte. Hier und da saßen junge Männer und stierten besoffen ins Leere. Dann endlich wehte ihr kühle Nachtluft ins Gesicht, und der Lärm blieb im Inneren des Zeltes zurück. Ihre Augen brauchten eine Weile,um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Knutschende Pärchen saßen auf der Leitplanke, und Männer pinkelten in den Straßengraben vor dem Sportplatz. Kerstin kam sich gleichzeitig nüchterner und betrunkener vor als im Trubel des Zeltes, sie genoss die klare Luft und hatte das Gefühl, durch tiefen glitschigen Boden zu gehen, obwohl die Wiese des Festplatzes seit zwei Wochen keinen Regen abbekommen hatte.
Um das hintere Ende des Zeltes herum ging sie Richtung Lahn. Dixie-Klos standen in einer langen Reihe, quaderförmig und lichtlos, ein paar Frauen warteten davor. Die meisten Männer entschieden sich für das Lahn-Pissoir, standen an der Uferböschung, unterhielten sich durch die Mundwinkel und tasteten, wenn sie fertig waren, nach neben den Schuhen abgestellten Biergläsern. Kleinere Wolken hasteten am Mond vorbei und hinterließen einen bläulichen Schimmer auf dem Festplatz. Während sie mit verschränkten Armen vor einem der Klos wartete, hörte Kerstin die Musik aus beiden Zelten, die sich zu einem unrhythmischen Halbganzen verband, das an ein zu großes Tier in einem zu kleinen Käfig erinnerte. Vom Rummelplatz her drängten sich die Stimmen der Ansager auf, und die Discobeats des Autoskooters passten zum Zischen der Spülvorrichtung in den Klokabinen.
»Ich sach: Ran Alter, die ist heiß wie Frittenfett«, war am Lahnufer das Motto der Stunde, und Kerstin nickte. So einen Vergleich hörte man doch ausgesprochen gerne als Frau.
Sie hatte Lust auf ein Glas kaltes Wasser. Immer noch strömten von der Brücke her neue Besucher Richtung Festgelände. Das Krankenhaus erhob sich dunkel in die Nacht, alle Fenster hinter heruntergelassenen Rollläden verborgen.
»Ach!« Die Tür der Kabine vor ihr hatte sich geöffnet, und Anita stand in der kajütenartigen Öffnung, ein Schatten vor dem matten Licht einer 40-Watt-Birne. Ein Schwall chemischer Zersetzungsmittel kam mit ihr die kleine Stufe herab.
»Selber ach«, sagte Kerstin. »Den ganzen Abend such ich dich schon.«
Anita hatte sich die schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, trug lange Ohrringe und sah ein bisschen nach Piratenbraut aus. Ihre eher kleinen Brüste steckten in einem korsageartigen Oberteil, dessen Schnüre den Eindruck erweckten, als hätten da schon ein paar Hände dran gezogen. Geschminkt war sie kaum. Ihre Augen besaßen diese außergewöhnliche Größe und leuchten selbst im Dämmerlicht des Dixie-Klos in tiefem Blau.
»Wartest du eine Minute?«
»Auf dich auch zwei.«
Im Innern der Kabine waberte noch Anitas Parfüm zwischen den anderen Gerüchen, und während Kerstin versuchte, gleichzeitig die Oberschenkel anzuspannen und flach zu atmen, hörte sie draußen Anita mit jemandem ein paar Worte wechseln. Eine Stimme, die Richtung Zelt ging, und als sie wieder draußen war und tief durchatmete, schüttelte Anita immer noch den Kopf.
»Kerle gibt’s hier.«
Dann standen sie einander gegenüber, und Anita verschränkte die Arme. Der kurze Rock, die hohen Stiefel, ganz geschmackssicher war das nicht, aber es wirkte. Abenteuerlustig, unbekümmert, selbstbewusst. Kerstin hätte gerne erzählt von der kuriosen Begebenheit in ihrem Schlafzimmer, aber sie wollte sich Anitas Kommentar ersparen. Ehe ist der Löschschaum für das Feuer deiner Libido, oder was ihrer Freundin sonst einfallen würde. Bis heute wusste Kerstin nicht, ob sie solche Stammtischklischees ernst meinte oder es einfach genoss sie auszusprechen. Intellektueller Natur war die Eitelkeit ihrer Freundin jedenfalls nicht, und vielleicht war Eitelkeit überhaupt das falsche Wort. In Anitas Abenteuern ahnte sie eine vertrackte, beinahe männliche Form von
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