Grenzgang
rinnt, hat mit den gepanschten Produkten ihrer Kölner Jahre nichts gemein. So spektakulär wie Karin Preiss’ Portugiese ist er nicht, aber trocken und fruchtig, genau die richtige Temperatur.
»Gut«, sagt sie.
»Nicht zu trocken?«
Sie schüttelt den Kopf. Behält das Glas in der Hand und stellt fest, dass seine Balkonstühle mit den Lehnen an beiden Seiten dazu einladen, die Knie anzuziehen und Sofastellung einzunehmen. Aber sie weiß nicht, ob das Kleid mit seinem gekürzten Saum eine solche Haltung zulässt.
Wäre sie frech, würde sie sagen: Und, sind Sie letzte Woche mit Ihrer Begleiterin noch nachtaktiv geworden? Die sah ja aus, als wüsste sie, wie man ›Kamasutra‹ schreibt. Stattdessen nimmt sie den zweiten Schluck Wein und nickt:
»Wirklich gut.«
Und Weidmann nimmt ebenfalls einen weiteren Schluck und sagt:
»Sie sind wahrscheinlich nicht gekommen, um über Ihren Sohn zu sprechen. Oder?«
»… ich glaube nicht.«
Wie um diese Präambel abzusetzen von dem, was ihr folgen wird, fährt unten auf der Straße ein Auto vorbei, das Weidmann als den tiefergelegten Golf des Idioten von drei Häuser weiter erkennt. Einer dieser Beschleunigungsfetischisten, wie man sie auf den Straßen der Provinz häufig antrifft. Mit hochgezogenen Augenbrauen kommentiert er das Aufröhren des Motors im zweiten Gang, das wenige Sekunden darauf von scharfen Bremsgeräuschen abgelöst wird. Dann erstirbt der Motor, die wummernden Bässe einer Stereoanlage fallen aus der sich öffnenden Tür, und erst als der Kerl sich seiner Hosenträgergurte entledigt hat, senkt sich wieder Ruhe auf die Grünberger Straße. ›Eure Armut kotzt mich an‹ verkündet, wie Weidmann weiß, ein Aufkleber auf dem Heckspoiler. Das stört ihn aber nicht in diesem Moment. In der Kehle spürt er außer dem Wein den Nachhall seines Herzschlags, ein kurzes Aufflackern, das ihm zu verstehen gibt, seine Frage sei riskant gewesen. Und Kerstin Werner, stellt er fest, sieht ausgesprochen attraktiv aus, wenn Nachtwind ihr an die Haare geht und sie die Lippen flach aufeinanderlegt, den Wein nachkostend und auf der Suche nach der richtigen Bemerkung. Das Teelicht spiegelt sich in ihren wachen Augen.
»Verstehe«, sagt er.
Die Begegnung im Club steht zwischen ihnen, lächerlich und obszön, so als ob sie auf einem Spaziergang zwei Hunde passierthätten, die sich auf Hundeart begatten: Alles, was man darüber sagen könnte, wäre selbst lächerlich und hätte einen Hang zum Obszönen. Also geht man schweigend weiter und ignoriert die Tatsache, dass für einen Augenblick alle dasselbe denken und von dem Wunsch besessen sind, etwas anderes zu denken. Bloß dass sie beide nicht spazieren gehen, sondern sich auf seinem Balkon gegenübersitzen, der gerade mal so groß ist wie zwei Telefonzellen. Immer noch arbeitet er an der Entschlüsselung der Botschaft dieses ärmellosen Kleides. Ihrer Schmach und Scham hat er abhelfen wollen, das war der Leitgedanke der letzten sieben Tage, ausgelöst von ihrem entsetzten Blick beim Verlassen des Bohème . Aber nichts von diesem Blick findet er jetzt in ihren Augen; sie sieht verführerisch aus, Punkt. Und trotzdem traut er ihrer Fassade nicht und hat so eine Phantasie, dass in dem Moment, da er sie zum ersten Mal mit den Händen berührt, sie weinend in seine Arme sinken und ihm ungefragt das ganze Ausmaß ihres Unglücks offenbaren wird. Ein Gedanke, der so verführerisch ist wie die Vorstellung, sich kopfüber vom Balkon zu stürzen.
»Glauben Sie denn«, fragt er tastend, »dass Sie darauf verzichten könnten zu erfahren, was mich an diesen Ort getrieben hat? Ich meine nicht Bergenstadt, sondern …«
»Ich weiß schon.« Sie nickt, aber die folgende Pause ist lang genug für die Einsicht, dass er auf ein schnelles Ja gehofft hat. Dann sogar lang genug, um der Befürchtung Raum zu geben, sie habe genau das erspürt und sei nun dabei, die Bedeutung dieser Einsicht zu entschlüsseln. Wobei sie ihn ansieht und trinkt und vermutlich zu dem Ergebnis kommt, dass er in Wirklichkeit nicht eine bestimmte Frage ausschließen möchte, sondern die grundsätzliche Möglichkeit, ganz und gar ehrlich miteinander zu sein. Und sie hat Recht: Die Internetbekanntschaften sind tabu, das ist die rote Linie, die die beiden Telefonzellen seines Balkons voneinander trennt und die er nicht zu überschreiten gedenkt. Aber je länger ihr Schweigen andauert, desto fataler erscheint ihm, was er ihr eigentlich gesagt hat: Könnten Siedarauf
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