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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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jemandem, den er ausgerechnet Daniel nennt und der sich in seiner Schule aufführt wie ein Mafioso. Zum Glück trägt sie keine Schürze, sie hasst Schürzen, aber unter seinem Blick ist es, als trüge sie doch eine. Sie will das nicht hören, es ist ihr Geburtstag, und sie will auch diesen Blick nicht auf ihrem Gesicht. Ungeduldig überlegt sie, ob der Herd ausgestellt ist, ob das Nudelwasser schon kocht. Wieso erzählt er ihr das alles?
    Sie möchte sich auf seine Worte konzentrieren, aber es ist, als stünde sie am Rand einer Autobahn und versuchte, die Autos zu erkennen, die an ihr vorbeirasen.
    »Ich komm nicht mit«, hört sie sich sagen. »Was ist das für eine Geschichte? Was soll das?«
    Er hält inne, und sie will verhindern, dass er weiterspricht.
    »Wer hat sich das ausgedacht? Du kannst nicht einfach am Montagmorgen hier reinplatzen und mir solche Geschichten erzählen.«
    »Ich hab den Montagmorgen bei Granitzny verbracht – hatte ich auch nicht drum gebeten.«
    »Wieso haben die mir nicht Bescheid gesagt?« Es gibt da ein paar Dinge, die geklärt werden müssen, bevor sie die Geschichte glaubt.
    »Weiß ich nicht. Sie haben gefragt, Granitzny hat gefragt, ob er dir Bescheid sagen soll oder ob ich das übernehme. Wahrscheinlich wird auch der Klassenlehrer …«
    »Haben sie dich gefragt.«
    »Hättest du’s lieber von ihm erfahren?«
    »Hast du ihn geschlagen?« Das Einzige, was sie ihm entgegenzusetzen hat.
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Aus Wut, nehm ich an. Aus Enttäuschung. Empörung.« Auf seiner Stirn glitzern Schweißperlen. Da ist nicht der Hauch einer Einladung zu Streit und Widerrede in seinen Worten, und beinahe wäre sie nach vorne getaumelt, hinein in dieses Fehlen von Aggressivität. Sie fragt sich, ob er am Morgen Sex gehabt hat mit seiner viel zu jungen Frau. Zwei Meter entfernt von ihr steht er in der Sonne. Seine Gefasstheit ist unerträglich. Er hat die Geschichte erzählt wie einen Bericht aus der Zeitung, hat gesagt: Wut – als hätte jemand gefragt: Emotionaler Zustand mit drei Buchstaben?
    »Tu das nie wieder«, sagt sie.
    »Kerstin, ich war genauso geschockt wie du. Unser Sohn ist ein … jedenfalls war er an einer gemeinen Erpressung beteiligt.«
    »Hast du ihn gefragt, was passiert ist? Hast du dir seine Geschichte angehört oder ihn einfach …?«
    »Er sagt nichts. Versuch du es. Er sagt mir ins Gesicht: Ich erklär’s dir nicht.«
    Am liebsten würde sie ihm befehlen, sich umzudrehen und zur Straße zu blicken. Sie hört die Zimmertür ihrer Mutter und greift mit einer Hand hinter sich, um die Haustür weiter zuzuziehen.
    Er steht reglos, die Hände in den Hosentaschen, schickt einen Blick zur Hausecke.
    »Haben die das mit den Leitungen hingekriegt, unterm Haus?«
    »Einigermaßen.« Sie weiß nicht wohin mit den Augen, sieht zur Straße und bemerkt zum ersten Mal, dass er ein neues Auto hat. Das zweite in drei Jahren. Sportlich und trotzdem groß, mit offenem Verdeck. Die Art von Auto, mit der man eine Midlife-Crisis bekämpft, bevor sie sich einstellt.
    »Und jetzt?«, fragt sie.
    »Ich will, dass er im Lauf der Woche an einem Nachmittag bei mir vorbeikommt. Erstens will ich mit ihm reden, und zweitens: Ich will, dass er sich bei Tommy Endler entschuldigt, persönlich, ich will, dass er rübergeht und sich entschuldigt.«
    »Weißt du, was das für ihn bedeutet?«
    »Es bedeutet, dass er Verantwortung für sein Tun übernimmt. Ich wohne mit Endlers Haus an Haus, wie soll das gehen mit so einer Sache.«
    »Es geht also nicht um Verantwortung, sondern um gute Nachbarschaft. Und seit wann fährst du solche Angeberschlitten?«
    Ein Verdrehen der Augen ist darauf seine einzige Antwort. Also muss sie weitersprechen.
    »Sieht so aus, als hätte sich dein durchschnittliches Monatseinkommen in den letzten drei Jahren …« Mit dem Kinn zeigt sie zur Straße. »Es waren doch drei Jahre, oder? Seit der letzten Überprüfung.«
    Jürgen schüttelt schweigend den Kopf.
    Das Quietschen orthopädischer Schuhe entfernt sich Richtung Bad, so wie sie es am Morgen gehört hat, vom Bett aus, im bläulichen Dämmerlicht, das nicht verraten hat, was für ein Tag das werden wird. Und vielleicht weiß sie es jetzt immer noch nicht, kurz vor Mittag, im Schatten des Vordachs, vielleicht wird am Abend ein Zettel auf Daniels Bett liegen, Binabgehauen , und sie muss mit der Polizei telefonieren und erklären, wann sie ihn zuletzt gesehen hat. Der Tag hat einen Sprung bekommen, und vielleicht wird am

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