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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Geburtstag schließlich auch schuldig ist. Ansonsten verbietet sie sich überhöhte Erwartungen: Er wird kein Geschenk haben, und sie wird sich untersagen auszusprechen, dass seine Anwesenheit ihr Geschenk genug ist.
    Sie trocknet sich die Hände. Wirft einen Blick auf den Veilchenstrauß, während sie lächelnd durch die Diele eilt. Wer könnte bloß …? Dann bricht wie ein angeschossener Verbrecher ihr Sohn durch die Dielentür. Sein verzerrtes Gesicht, eine bittere Grimasse, als wollte er sagen: Hier bin ich, Abschaum der Erde! Ohne stehen zu bleiben, wirft er seine Tasche in die Ecke und rauscht an ihr vorbei, die Kellertreppe hinunter. Wind weht durch die Diele, der Knall seiner Zimmertür lässt die Wände erzittern. Dann Stille, und noch bevor sie eine Stimme hört, weiß sie, dass draußen jemand vor der Haustür steht.
    »Kerstin, bist du da?«
    Ihr Exmann. Es ist ein Gefühl, als hätte sie zu schnell ein Glas Eistee hinuntergestürzt, während sie ihm entgegengeht und versucht, die Geschichte zu erraten, die er ihr jetzt erzählen wird, die Geschichte zu Daniels Gesicht. Seine linke Wange ist rot gewesen. Vielleicht wird es nötig sein, sehr laut zu werden.
    Er steht auf halbem Weg zwischen Haus- und Gartentür. Hält die Autoschlüssel in der Hand. Sieht gut aus.
    Im Türrahmen bleibt sie stehen und verschränkt die Arme. Der Durchzug weht ihr eine Haarsträhne ins Gesicht, und sie lässt es geschehen.
    »Wie geht’s dir?«, fragt er, aber sie findet es besser, die Rollen sofort zu verteilen.
    »Was hast du mit ihm gemacht?« Sie neigt den Kopf, und ohne die Verschränkung ihrer Arme zu lösen, zeigt sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Wange, malt einen unsichtbaren Kreis darauf.
    Er hält ihr mit den Handflächen eine Bitte um Geduld entgegen. Trägt Krawatte und ein blaues Kurzarmhemd, zeigt ihr seine behaarten, muskulösen Unterarme, scheint gut in Form zu sein, so wie er da steht: Die Sonne strahlt auf sein grauer, aber nicht dünner werdendes Haar, auf seinen kompakten Oberkörper mit der feinen Linie zwischen den Brustmuskeln, die sie nicht sehen kann unter Hemd und Krawatte, aber sie sieht sie trotzdem. Wie ein Netz mit Apfelsinen hält sie ihre Erinnerungen in den verschränkten Armen und fühlt, wie das Netz zu reißen beginnt, sieht sich schon in die Knie gehen und die Früchte einsammeln, die über den Boden rollen bis zu seinen Füßen. Tadellos polierte Schuhe.
    »Erst mal: Herzlichen Glückwunsch … tja, zum Geburtstag«, hört sie ihn sagen und sieht ihm hart ins Gesicht. Verbietet sich jedes Nicken, jede Antwort.
    »Sprechen wir hier draußen vor der Tür?«, fragt er.
    »Willst du meiner Mutter Guten Tag sagen?«
    Für einen Moment schließt er die Augen gegen die Sonne, und sie freut sich, dass er Kraft schöpfen muss. Nicht dass er es sich anmerken lässt, aber sie erkennt die schräge Falte auf seiner Stirn. Mit einem Ohr horcht sie hinter sich, in die Stille des Hauses, riecht den Duft ihres Shampoos. Steht sicher gegen den Türrahmen gelehnt.
    »Also?«
    »Hör mir zu. Was ich dir sage, klingt verrückt, und du wirst tausend Gründe finden, es nicht zu glauben. Leider stimmt es aber. Ich weiß es auch erst seit eben, seit ich in der Schule war, weil Granitzny mich angerufen und zu sich bestellt hat.« Er macht eine Pause und tritt einen Schritt zurück, versucht sie von der Türschwelle wegzulocken, von dem Sockel, auf dem sie steht. Sie streckt den Rücken.
    Licht scheint auf den Rehsteig, als würde es von überall kommen.
    So viel Sonne, denkt sie, verträumt für einen Moment und sieht Richtung Kreuzung, wo eine Gruppe Grundschüler vorbeizieht, bergauf zur Hornberger Straße. Ihr Süßen, würde Frau Preiss ihnen zurufen. Habt ihr was Schönes gelernt? Ihr gefällt der Gedanke, dass im Haus der Preissens ein Strauß von ihrem Flieder steht, sicherlich gut platziert vor einem der großen Frontfenster.
    … Hat er gerade Erpressung gesagt?
    Sie sieht ihn nicht an, während er erzählt. Sieht auf den Flieder und die Birke ganz links in der äußersten Ecke des Grundstücks, um deren Stamm herum das Gras ausgedünnt und von bräunlicher Farbe ist. Was er ihr zu sagen hat, ergibt keinen Sinn. Sie spürt seinen Blick auf ihrem Gesicht. Es gibt eine Abmachung, der zufolge ein Treffen vorher am Telefon vereinbart wird; kein plötzliches Hereinplatzen, An-der-Tür-Klingeln, Im-Garten-Stehen, sie hat darum gebeten, er hat es akzeptiert, und nun steht er da und erzählt von

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