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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Umständen ein Grund zur Beruhigung, aber einmal geweckt, wuchs ihr Misstrauen mit jedem Streit und leistete ihr Gesellschaft währendder einsamen Abende im Wohnzimmer. Brachte sie dazu, an Hemdkragen zu schnuppern und nach Widersprüchen in seinen Erzählungen zu fahnden. Beruhigung, wenn auch eine der bitteren Art, stellte sich erst ein, als irgendwann dieser nie zuvor gehörte Name fiel, ein isolierter Vorname bloß, und als etwas sich einschlich in seine Stimme – der pure Ärger darüber, dass sie nachfragte:
    – Wenn diese Andrea Führerin der Mädchenschaft Rheinstraße ist, warum muss dann jemand von der Männergesellschaft auf ihren Geburtstag?
    – Was soll das denn heißen: ›Wir gehören eben alle zusammen‹?
    – Und du bist sicher, dass die anderen Gäste das nicht seltsam finden? Immerhin bist du zehn bis zwanzig Jahre älter als der Durchschnitt da.
    – Dann hat sie also den gesamten Vorstand der Männergesellschaft eingeladen?
    – So, und warum nicht?
    – Schon klar, aber warum ist ausgerechnet der zweite Führer so besonders befähigt, die Gesellschaft zu ›repräsentieren‹?
    – Sympathisch, ach so.
    – Ich bin nicht zickig, ich frage, warum es dir nicht möglich ist, einen Samstagabend zu Hause bei deiner Familie zu verbringen. Einen im Monat.
    Und so weiter und so weiter. Natürlich war sie zickig, so zickig, wie man eben wird, wenn man versucht, seine Kränkung nicht zu zeigen (weil der Versuch, sie doch mal zu zeigen, alles andere als ein Erfolg gewesen ist). Und trotzdem: Unter der Führerin einer Mädchenschaft konnte sie sich nichts anderes als Spielzeug vorstellen, Phantasiefutter, dessen ein Mann vielleicht von Zeit zu Zeit bedurfte, aber Ehen gingen nicht an Spielzeug kaputt. Irgendwann war die Party vorbei, und das Spielzeug wurde in die Ecke gestellt oder von jemand anders übernommen, es war lediglich eine Frage der Zeit. Sie hatte auch hier und da die Ohren gespitzt und zum Beispiel erfahren,dass diese Andrea einen Freund namens Lars Benner hatte, also nach gängigem Verständnis gar nicht zu haben war. Um nicht nur die Rolle der Wartenden zu spielen, hatte sie den Namen Andrea ihrerseits dann und wann ins Spiel gebracht, hatte immer mal wieder mit ironischem Unterton kleine Bemerkungen gemacht und war mit geringfügiger Abstufung der Subtilität so vorgegangen wie vor zwei oder drei Jahren, als sie Daniel davon hatte überzeugen wollen, dass Schreckschusspistolen ein blödes Spielzeug sind, etwas für Kinder, denen nichts Besseres einfällt als Peng, Peng, Peng.
    »Soll ich mich noch einen Moment zu dir legen?« Sie hörte Hans unten im Wohnzimmer rumoren und kurz darauf das Ploppen eines Korkens. Was der neuerdings vertrug, war geradezu unheimlich. Fünf oder sechs Bier und jetzt noch ein paar Gläser Wein drauf, und morgen um fünf würde er aufstehen, als sei nichts gewesen. Sie hatte keine Lust mehr, weder auf Alkohol noch auf ein Gespräch mit ihrem Bruder, auf seine Erklärungen, warum die Scheidung von Marianne unausweichlich war; alles in einem Tonfall, als ginge nicht gerade seine zweite Ehe in die Brüche, sondern als hätte er diesen neuen Wanderweg ausprobiert und festgestellt: Ganz hielt der die Versprechungen des Reiseführers nicht. Sie fühlte Daniels Nicken unter ihrer Hand auf seiner Stirn. Wärmer als sonst war die.
    »Dann rutsch mal.«
    Da war etwas an Hans, was sie auch an ihrem Mann nicht mochte: dieser Stolz auf die eigene Fähigkeit, in bestimmten schwierigen Situationen nüchtern zu analysieren und die notwendigen Schlüsse und Konsequenzen zu ziehen. Und nach zehn Jahren Ehe wusste sie auch, warum sie es nicht mochte: weil die Fähigkeit erstens eine Unfähigkeit und zweitens der eigentliche Grund war für die vermeintlichen Notwendigkeiten, die sich aus ihr ergaben. Diese Nüchternheit bestand aus nichts anderem als der Fähigkeit, das als unvermeidbar zu erkennen, was sehr wohl vermeidbar wäre, würde man die Nüchternheit für einen Moment durch Mitgefühl ersetzen. So einfachgestrickt waren Männer, und die ganze Schwierigkeit bestand darin, trotzdem mit ihnen zu leben.
    »Leg dich endlich hin jetzt.«
    Erst als sie den Rand seiner Bettdecke über sich schlug, merkte sie, wie kalt ihr war. Sie zog ihren Sohn zu sich heran, nahm klaglos sein in ihre Achsel gemurmeltes »Du riechst nach Rauch« hin und hörte von unten das Quietschen der Terrassentür. Sobald sie ins Wohnzimmer ging, würde Hans ihr auch noch den Rest seines Ehedramas

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