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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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ersten Waldweg, der den Kleiberg umlief. Spürte seinen Puls in der Kehle pochen. Mehr und mehr Wanderer ruhten sich auf dem Weg aus und blickten lachend bergab auf die nachfolgenden Grenzgänger. Irgendwo wurde immer Bier getrunken. Zwei Jungburschen mit schweren Krügen entfernten sich vom Zug und buddelten neben einer einzelnen Fichte ein paar Bierflaschen aus dem Boden – Seidippeträger mussten den Durst einer ganzen Burschenschaft stillen, das war ohne Depots unterwegs nicht zu machen.
    »Thomas?«
    Weidmann blickte auf und erkannte seine Tante: Mit Wanderstock, Hut und Weste lehnte sie etwas abseits an einem Buchenstamm, wischte sich mit einem Tuch die Stirn und machte vor Überraschung große Augen.
    »Hallo, Tantchen. Brauchst du Hilfe?«, sagte er so beiläufigund selbstverständlich wie möglich.
    »Heute Morgen am Markplatz hab ich noch zu Ingrid gesagt: Dass er sich das entgehen lässt. Und jetzt stehst du hier wie … Thomas, mein Lieber.« Sie winkte ihn zu sich heran, und Weidmann hatte gerade noch Zeit, der Frau an ihrer Seite zuzunicken, bevor er sich herzen und küssen ließ, den Blick über Annis Schulter hangabwärts gerichtet. »Wo kommst du denn plötzlich her?«
    »Aus Berlin.«
    Anni Schuhmann schüttelte den Kopf und steckte das Tuch wieder ein.
    »Unberechenbar, die jungen Leute. Darauf trinken wir aber ein Pikkolöchen. Weiß denn Ingrid gar nicht, dass du hier bist.«
    »Hab sie noch nicht gesehen.« Er zuckte mit den Schultern. Die Frau neben seiner Tante war etwas jünger als er, groß gewachsen und schlank, mit graublauen Augen. Gerade als er ihr die Hand geben wollte, reichte seine Tante ihm eine kleine Sektflasche und fragte: »Für Sie auch? Du kennst doch Frau Bamberger, Thomas?«
    »Guten Tag«, sagte er.
    Sie murmelte einen Gruß in seine Richtung und ein Dankeschön zu Tante Anni, als die ihr ebenfalls eine kleine Flasche aus ihrem Rucksack hinhielt.
    »Herr Bamberger hat seine Kanzlei direkt bei uns gegenüber. So, ihr Lieben: Prost!«
    »Wir kennen uns noch von der Schule. Geht’s ihm gut?« Er öffnete die Flasche und nickte in ihre Richtung.
    »Bestimmt«, sagte Frau Bamberger.
    »Wie siehst du eigentlich aus?« Tante Anni schüttelte immer noch den Kopf. »Hast du gar keine Wandersachen?«
    »Ich bin erst heute Morgen angekommen.« Das war vermutlich keine ausreichende Erklärung, aber er beschloss, sie einstweilen als solche zu betrachten. Schweiß lief ihm über Schläfen und Rücken. Den gerade gewonnenen ironischen Abstand zuseiner Situation galt es zu erhalten und auszubauen. Sekt, auch wenn er nicht mehr ganz kalt war, konnte dabei durchaus behilflich sein.
    Frau Bamberger neben ihm sah eher abwesend auf das Treiben, die Arme verschränkt, die kleine Flasche vor den Lippen, als wollte sie hineinpfeifen. Sie trug T-Shirt und Jeans und sah trotzdem anders aus als die meisten Frauen, die an ihnen vorbeiwanderten und neidische Blicke auf die Sektflaschen warfen. Da war ein stolzer Zug um die schmalen Lippen, sie trug wenig Schmuck, und ihr Gesicht wirkte, als würde sie im Stillen angestrengt nachdenken.
    »Heute Morgen stand ein Auto mit Berliner Kennzeichen vor dem Bürgerhaus«, sagte sie leise, ohne ihn anzusehen.
    »Meins.«
    »Wo hast du denn geschlafen?« Tante Anni schüttelte in einem fort den Kopf.
    »Mach dir um mich keine Sorgen, Tantchen. Wo ist Heinrich?«
    »Nimmt den Bus.« Sie machte das Gesicht, das sie immer machte, wenn etwas sie bedrückte und sie dagegen ankämpfte mit diesem Lächeln, das er noch von früher kannte. »Ich hab gesagt: Ich fahr mit dir, Heinrich. Aber davon wollte er nichts wissen. Und jetzt sitzt er zu Hause.« Sie sah auf die Uhr. »Wahrscheinlich nimmt er den ersten Bus um kurz nach neun.« Damit wandte sie sich an Frau Bamberger: »Die Hüfte, gell. Bei mir geht’s auch langsam los, aber bei ihm war’s der Krieg.«
    »Dabei hätten Sie mich beinahe noch überholt am steilsten Stück.«
    »Ach was, so eine sportliche junge Frau wie Sie! Wo ist denn Ihr Sohn?«
    »Wüsste ich auch gerne.« Sie blickte den Hang hinab und wieder hinauf. »Wahrscheinlich da oben.«
    »Ach, und seht mal, wer da kommt.« Aus Tante Annis Gesicht war wieder alle Kümmernis verschwunden. »Ingrid, Ingrid! Äich doochde, du bässd lengsd duwwe. Unn jetz gucke mol,wer hie städd.«
    Weidmann blickte sich um und sah seine Mutter den Berg heraufkommen. Die Anstrengung stand ihr ins Gesicht geschrieben, dann blieb sie stehen und schüttelte den Kopf,

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