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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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sie von mir.«
    »Mach ich. Und wenn du was gutmachen willst, dann komm Grenzgang her. Ohne dich bleib ich doch bloß zu Hause sitzen und denke, dass alle sich gerade amüsieren.«
    »Ich werd’s versuchen.«
    Es ist wie immer: Lange kann sie Anita nicht böse sein. Oder will es nicht. Ist lieber sich selbst böse, weil sie es nicht kann oder nicht will, und sagt sich: Sie ist meine einzige Freundin,ich habe sonst keine.
    »Bist ein Schatz. Nein, eigentlich bist du ein Ekel, aber ich stoß heute Abend trotzdem auf dich an. Mit Grauburgunder, falls dir das nicht zu gewöhnlich ist.«
    »Wer ist Grauburgunder?«
    »Ein Weißwein, Chérie. Hast du früher auch getrunken.«
    Es dauert einen Augenblick, bevor Anitas Lachen sich aus dem mediterranen Rauschen löst und ihr in kleinen Wellen ins Ohr schwappt.
    »Dass du nie Rotwein trinkst. Na, mal sehen, was mir heute Abend so ins Glas fällt.« Die Art, wie sie es sagt, verrät, dass sie nicht alleine ist, dort in Nizza, sondern dem Abend entgegenblickt wie einem teuren Geschenk, dessen Inhalt sie schon kennt. Sie hat ›wir‹ gesagt und nicht ihren Mann gemeint, und jetzt blinzelt sie in der Abendsonne keck irgendeinen Kerl an, mit dem sie am Abend ins Bett zu fallen gedenkt, in dasselbe, aus dem sie am späten Vormittag aufgestanden ist.
    Augenblicklich kehrt Kerstins Groll zurück.
    »Weil ich von Rotwein Sodbrennen kriege. Und jetzt muss ich wieder in die Küche.«
    »Wir sehen uns bald, ja?«
    »Viel Spaß noch in Nizza.« Dann sind Rauschen und Lachen verschwunden, und die Wanduhr zeigt drei nach sieben. Kerstin blättert in der Zeitung, ohne zu lesen, bis ihr Blick auf das Kreuzworträtsel fällt, das ihre Mutter zu einem knappen Drittel gelöst hat, in ihrer immer unleserlicher werdenden Handschrift. Nach der Regenbogenhaut im Auge wurde da gefragt, vier Buchstaben, und ihre Mutter hat geschrieben: B-U-N-T.

    »An den Rändern ist er ein bisschen dunkel geworden. Soll ich dir das abschneiden?« fragt sie ihre Mutter, die skeptische Blicke auf das zerlaufene Gebilde auf ihrem Teller wirft und nicht zu wissen scheint, wo sie mit Messer und Gabel ansetzen soll.
    »Sechzehn Grad waren’s draußen auf der Fensterbank«, sagt sie stattdessen. »Gestern gab’s noch über zwanzig.«
    »Das kommt vor im Mai, so Schwankungen.«
    »Bei uns zu Hause wird’s auch geregnet haben, ja. Der arme Hans.«
    »Wieso armer Hans? Weil das Wetter schlecht ist?«
    »Und dann die Nachtdienste. Früher hat er die Nachtdienste gemacht, ja, und dann noch bei uns Rasen gemäht. Die ganze Wiese am Weiher.«
    »Einmal. Einmal hat er das gemacht.« Aber ebenso wie seine Mutter spricht er immer noch davon, als gebühre ihm ein Orden für seinen Einsatz. »Soll ich dir den Toast schneiden?«
    »Sind das Tomaten aus unserm Garten?«
    »Mutter, es ist Mai. Es gibt noch keine Tomaten bei uns. Und übrigens macht Hans als Chefarzt auch keine Nachtdienste mehr.«
    »Ich hab früher immer viele Tomaten gehabt.«
    »Nicht im Mai.«
    »Kartoffeln auch, Gurken, Zucchini. Kanntest du eigentlich die große Wiese oben bei Schmieds Weiher noch? Da war mehr Sonne als unten, ja. Und samstags kam Schmieds Wilhelm vorbei – wenn der Hans gemäht hat, ja? – und hat gefragt: Wollt’a Eia? Immer so: Wollt’a Eia?«
    »Lass deinen Toast nicht kalt werden.«
    »Seine Frau ist oft krank gewesen.«
    »Ja. Und Schmieds Wilhelm war’s auch, der die Wiese gemäht hat. Ein paar Mal hat Hans ihm geholfen. Ein paar Mal. Nicht so oft wie ich zum Beispiel.«
    »Du warst immer weg in Köln.«
    Ihre Mutter greift nach dem Besteck und legt es wieder zur Seite, um die Hände zu falten. Unwillkürlich hält auch Kerstin die Hände still, hört sogar für einen Moment auf zu kauen. Am Hinterkopf ihrer Mutter entdeckt sie eine Strähne, die sie vergessen hat einzudrehen.
    Draußen ist die Sonne verschwunden, nur in Nizza steht sie wahrscheinlich noch über dem Wasser, zerläuft am unteren Rand und tropft hinter den Horizont. Zeit für das erste GlasChampagner.
    Sie sieht ihrer Mutter zu, wie sie sich am Essen zu schaffen macht, mit dem Messer durch Spiegelei, Käse und Tomaten fährt, bis alle Schichten des Toasts sich über den Teller verteilt haben. Dann erst schneidet sie eine Ecke ab, um mit zitternder Hand die Gabel zum Mund zu führen, den Kopf vorgestreckt wie eine Schildkröte. Mit zugerunzeltem Mund, der kein Gebiss zeigt. Nach jedem Bissen legt sie das Besteck ab, wirft einen Blick auf die Pillenbox mit den drei

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