Grenzwärts
blauen Gläsern deiner Sonnenbrille liegen blassgrüne Augen mit braunen Einsprengseln. Ich kenne sie. Das sind meine Lieblingsaugen. Warum versteckst du sie? Hast du Angst, ich könnte durch sie in dich hineinsehen? Oh ja, du hattest immer Angst, Jule. Aber ich weiß Bescheid, hast du das vergessen? Vor mir bist du nackt, Süße, vollkommen entblößt. Du kannst dich nicht verstecken. Nicht vor mir, und deshalb: Willkommen zu Hause, Conchitababy!
»Gott!« Wie entsetzt ihr hübsches sommersprossiges Gesicht entgleist. »Was hat er mit seinen Haaren gemacht?«
Abrasiert, Conchitababy, siehste doch! Damit hat Gott gar nichts zu tun. Komm, Süße, ich nehme dir den schweren Rucksack ab, bevor du unter dessen Last zusammenbrichst. – Mist, was ist das? Gibt der Boden nach? Ist das ein Erdbeben oder der Kreislauf? Bin ich wirklich schon so blau, dass ich nicht mehr stehen kann? Vermutlich, denn ich falle, verfluchte Scheiße. Voll auf die Schnauze! Und ich höre sie schreien, hoch und spitz, wie ein kleines Mädchen, das erschrickt. Beruhige dich, Conchitababy, halb so wild, im Suff stürzt man sanft.
»Kudella, alles okay mit dir?« Wie warm ihre Stimme klingt an meinem Ohr – Mann, Baby! Wie habe ich deine Stimme vermisst, deine weiche, helle Stimme … Und dein Haar. Ich spüre es an meiner Wange. Langes, weiches rotblondes Haar. Die bunten Perlen darin schimmern.
Ich spüre deinen Atem, und deine schmalen weißen Hände zerren an mir herum.
Vergiss es, Baby! Du kannst mir nicht hochhelfen. Ich bin zu besoffen und viel zu schwer für dich. Fünfundneunzig Kilo reine Muskelmasse – es ist sinnlos.
Aber du packst trotzdem an, nicht wahr? Setzt den großen Rucksack ab, um deinen alten Kudella wieder auf die Beine zu stellen. Ja, so ist’s richtig. Nie aufgeben, Süße! Beharrlichkeit ist wichtig, eiserner Wille.
»Mann, Roland! Nun hilf doch mal!«
Genau! Hilf unserer Süßen doch mal, du Dämlack! Stehst nur dumm rum. Dabei kennst auch du bourgeoises Arschloch das alte Gesetz des Klassenkampfs: Gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam kriegt ihr mich wieder in den GAZ , na also: Beifahrerseite, immerhin.
Da sind wir aber fertig, was, Conchitababy? Eben erst angekommen und schon so außer Puste?
»Tut mir leid, dass er sich so aufführt.«
Oho, Don Rolando hat einen großen Strauß roter Rosen aus seinem Porsche gezaubert. Ja, für so was hat er ein Händchen.
»Nett, dass du uns mal besuchst.«
»Echt schön.« Natürlich meint sie die Rosen. So sind Frauen.
»Ja, hab ich günstig bekommen.« Natürlich meint er seinen Porsche. So sind Männer. Einladend öffnet er die Beifahrertür. »308 PS , Turbolader. Die Geschäfte laufen ganz gut. Ich hab die Spedition meines Vaters übernommen.« So! Jetzt noch ein großkotziger Blick auf die goldene Rolex-Uhr und charmant gelächelt. »Wollen wir?«
»Und was …« Wie nervös sie mich anschaut. »… passiert mit ihm?«
»Der nüchtert von ganz allein aus.«
Oh, Baby, man sieht dir förmlich an, wie es in deinem hübschen Kopf arbeitet. Wie das Für und Wider abgewogen wird und das Verlangen, sofort wieder abzureisen, mit dem Gewissen kämpft. Denn in meinem Zustand kannst du mich unmöglich hier zurücklassen, oder? Wir sind schließlich Freunde für die Ewigkeit. Die kann man nicht einfach im Stich lassen. Soll ich etwa allein nach Hause fahren? Ich bin betrunken und könnte verunglücken. Willst du das verantworten?
Ratlos trieselt sie mit dem rechten Zeigefinger eine Haarlocke. Das hat sie früher schon immer gemacht, wenn sie nicht weiterwusste. Den Zeigefinger in ihr langes Haar verwickelt, bis eine Erkenntnis kam.
»Hier kann er jedenfalls nicht bleiben«, sagt sie schließlich und schaut suchend in meinen Wagen. »Wo sind die Autoschlüssel?«
»Die hab ich ihm schon abgenommen.«
»Gib sie mir!« Entschlossen wuchtet sie ihre Kraxe auf den Rücksitz. »Ich fahre ihn nach Hause.«
»Was?«
Ja, da staunste, Don Rolando, was? Julchen weiß eben, was sich gehört.
»Hier kann er nicht bleiben«, wiederholt sie entschieden, »und irgendwer muss seine Kiste ja nach Hause fahren. In deinen Porsche steig ich jedenfalls nicht ein. So was fahren bei uns nur alte Widerlinge und Zuhälter.«
»Ja«, wiehere ich drauflos, »das ist bei uns ganz genauso!«
Roland wirft mir einen finsteren Blick zu.
»Also?« Julia schnippt fordernd mit den Fingern.
Er gibt ihr die Zündschlüssel. »Aber sei vorsichtig.« Und dann steigt sie tatsächlich mit
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