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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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ihren langen Beinen zu mir in den  GAZ .
    Meine süße, allerliebste Bossa Novissima, ich hab’s gewusst! Sie hat sich zwar als Janis Joplin verkleidet, im Kern aber ist sie mein Conchitababy geblieben. Verantwortungsvoll, ehrlich und eine reine, gute Seele. Das war sie immer. Man muss ihr gar nicht ins Gewissen reden, das arbeitet ganz von allein. Und deshalb bringt sie mich jetzt nach Hause.
    Seht nur, wie kerzengerade sie am Steuer sitzt, den schlanken, langen Hals reckt und sich konzentriert umsieht. Ja, in so einem großen, alten Jeep darf man den Überblick nicht verlieren. Aber dafür sitzt man auch schön erhöht. Die Rundumsicht ist klasse.
    Wie hübsch sie ist, wie anmutig ihr Gesicht. Ein leichter Überbiss ist geblieben, trotz Zahnspange damals. Noch immer ruhen ihre großen, makellos weißen Schneidezähne auf ihrer Unterlippe, wenn sie angespannt ist. Aber das macht ihren Mund nur noch anziehender. Wir haben sie immer den »süßesten Nager der Welt« genannt.
    Etwas Gas geben beim Starten, Baby, dann springt die Karre problemlos an. Siehste, geht doch. Und die Gänge nicht so reinwürgen, das ist kein Trabi! Wenn du die Kupplung ganz durchtrittst, gehen sie ganz leicht.
    Wie reizvoll ihre schmalen, runden Knie durch die schwarzen Strumpfhosen schimmern. In Julias blauer Sonnenbrille spiegelt sich die Straße, ihr langes Haar weht im Wind. Und wenn sie zur Gangschaltung greift, klimpern die silbernen, orientalisch anmutenden Armreife an ihren schmalen Handgelenken.
    Versonnen blinzele ich in den Himmel, die Sonne lullt mich ein.
    Und zum ersten Mal in meinem Leben bringt mich ein Engel nach Hause zurück. Ein Lichtwesen. Eine langbeinige Elfe. Eine Traumgestalt …
    Sekunden später bin ich eingeschlafen.

3
    NACHDENKLICH   STAND  Oberkommissar Romeo Schwartz im Schlafzimmer seiner kleinen Mansardenwohnung vor dem Kleiderschrank. Das war immer ein Problem: die Frage, wie viel und vor allem was nimmt der Mensch mit, wenn er auf Reisen geht? Gerade zu dieser Jahreszeit gestaltete sich die Antwort schwierig. Oktober – das hieß goldener Herbst mit noch durchaus warmen, schönen Tagen. Der Oktober konnte aber auch nass werden, sehr kühl und windig. Zudem wurde es täglich früher dunkel, und die Nächte waren schon recht frostig.
    Schwartz wollte, während er in Görlitz fürs  LKA  ermittelte, in Dittelsdorf übernachten, in seinem alten Kinderzimmer bei Oma, und die hatte immer einen großen Vorrat selbst gestrickter Pullover und Socken. Für den Fall, dass der Winter einbrach.
    Dennoch entschied sich der Oberkommissar für den großen Koffer. Er konnte vor den Görlitzer Kollegen unmöglich in einem von Omas pastellfarbenen Zopfstrickpullundern erscheinen, nur weil es kühler wurde. Nee, den Lacher sparte er sich, lieber packte er den großen Koffer.
    Oder besser zwei kleine? Da verteilte sich das Gewicht besser. War der große Koffer erst mal voll, konnte man ihn kaum noch anheben.
    Unschlüssig kratzte sich Schwartz am Kopf. Schwere Entscheidungen standen bevor, Entscheidungen, die gefällt werden mussten, bevor er an der Neiße seinen Dienst antrat.
    Noch am Morgen hatte es einen Riesenzoff deswegen mit Kriminaldirektor Habersaath gegeben. Der wollte ihn auf keinen Fall gehen lassen, brauchte angeblich jeden Mann für die Aufarbeitung alter  DDR -Fälle. Zudem fühlte er sich übergangen und empfand es als Ungeheuerlichkeit, dass Schwartz einfach so mir nix, dir nix mit dem  LKA  Kontakt aufgenommen hatte. Eine Kompetenzüberschreitung sondergleichen sei das, hatte er gebrüllt, eine Unverschämtheit.
    Dabei war es doch das Landeskriminalamt, das den Kontakt zu Schwartz gesucht hatte. In Person von Liliana Petkovic. Und die schien verdammt gut vernetzt zu sein, denn noch während Habersaath herumschrie, klingelte das Telefon. Das sächsische Innenministerium war dran, ein Staatssekretär Wolff, und es gehe um eine Anfrage des  LKA .
    Habersaath war entsprechend beeindruckt. Minutenlang hatte er am Hörer gebuckelt: »Jawoll, Herr Staatssekretär – selbstverständlich, Herr Staatssekretär – aber natürlich, Herr Staatssekretär …«
    Am Ende musste er Schwartz gehen lassen. Nicht, ohne ihn mit jenem verächtlichen Blick zu strafen, den man gemeinhin Verrätern hinterherschickt. Denn das war der Oberkommissar nun in den Augen von Kriminaldirektor Habersaath: ein Verräter, ein Kollaborateur. Ein Mann, der gewissenlos die Seiten wechselt. Ohne Rückgrat. Einfach erbärmlich!
    Tja.

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