Grenzwärts
anspruchsvoll für Kletterer, trotzdem gab es auch dort schon tödliche Unfälle. Die überschaubare Höhe des Felsens hatte schon so manchen zum Leichtsinn verleitet.
»Kuhnt wurde erschossen«, winkte Liliana Petkovic heiser ab. »Mit seiner eigenen Waffe. Die zuständigen Behörden gehen von Selbstmord aus, aber …«
»… Sie glauben das nicht?«
»Schwartz, das bleibt jetzt unter uns, klar?« Liliana Petkovic drückte hektisch ihre Zigarette aus und sah ihn eindringlich an. »Im LKA vermuten wir, dass Kuhnt in etwas verwickelt war. Schmuggel, vielleicht sogar Menschenhandel. Leider ist offiziell die Görlitzer Kriminalpolizeiinspektion für den Fall zuständig.«
»Und die bleibt bei Freitod«, nickte Schwartz. Was vollkommen logisch war, denn ein Mord an einem BGS -Beamten dürfte viel Staub aufwirbeln. Das bedeutete Stress. Freitod dagegen war nur tragisch, das Ende einer krankhaften Depression und nichts für die Kripo. »Damit haben sie Ruhe.«
»Die Görlitzer sind völlig überfordert mit der neuen Situation«, die Petkovic steckte sich eine neue Zigarette an, »die haben das ganze Ausmaß der organisierten Kriminalität bei sich noch gar nicht erfasst. Dabei stößt an der Neiße heute die Erste an die Dritte Welt. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Ich kann’s mir vorstellen«, sagte Schwartz, obwohl er sich bislang noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. Wie auch, wenn er sich tagtäglich mit Altfällen herumschlug und nur mal sonntags zum Kaffee bei Oma in Dittelsdorf auftauchte. Und da schien die Welt noch in Ordnung, abgesehen davon, dass in den Nächten zuweilen die Satellitenschüssel abmontiert oder der neue Rasenmäher gestohlen worden war.
»Ich vermute mal«, wagte er sich weiter vor, »dass die Hinweise bei Ihnen im LKA nicht ausreichen, um ganz offiziell den Fall zu übernehmen?«
»Richtig.« Liliana Petkovic bestellte noch zwei Bier.
»Und deshalb brauchen Sie mich. Einen Beamten der Dresdner Polizeidirektion, der den Kollegen in Görlitz etwas unter die Arme greift?«
»Nicht Sie, Schwartz, nicht mit Ihrer Hautfarbe …«
»Fangen Sie schon wieder an?« Schwartz beugte sich drohend vor. »Wollen Sie mir schon wieder erzählen, warum Sie keinen Nigger gebrauchen können? – Tut mir leid, Frau Petkovic, für so was fehlt mir jedes Verständnis.«
»Nigger habe ich nicht gesagt.«
»Aber gedacht. Und Sie haben recht.« Jetzt konnte er die Petkovic mit ihren eigenen Waffen schlagen. »Denn ich könnte für Sie den V-Mann spielen. Ein armer Neger, der nur über die Grenze will. Als illegaler Einwanderer sozusagen. So komme ich an die Schlepper heran, kriege vielleicht was über ihre Organisationsstrukturen und den Mord an Kuhnt heraus.«
»Verarschen Sie mich?«
»Nö«, machte Schwartz unschuldig und setzte, ihren schwäbelnden Ton nachahmend, hinzu: »Des moin i ganz im Ernscht.«
»Vergessen Sie’s.« Die Petkovic blieb cool. »Über diese Grenze kommen Russen, Ukrainer und Rumänen, vielleicht sogar Chinesen und Kasachen. Aber keine Afrikaner.«
»Trotzdem bin ich genau Ihr Mann«, insistierte Schwartz. »Ich bin an der Neiße groß geworden, ich kenne da Land und Leute. In Görlitz bin ich Streife gelaufen und hab meine ersten Erfahrungen als Polizist gemacht.«
»Das war doch noch zu DDR -Zeiten!«
»Na und?« Schwartz ließ nicht locker. »Die Kollegen dort werden sich an mich erinnern. Das gibt ein großes Hallo, wenn ich nach all den Jahren wieder auftauche, um ihnen beruflich und kriminalistisch unter die Arme zu greifen.«
»Sie werden in ein Wespennest stoßen.«
»Möglicherweise.« Schwartz hob sein Bierglas, um Liliana Petkovic zuzuprosten. »Und das wäre dann doch genau das, was Sie wollen, oder nicht?«
Sie nippte zweifelnd an ihrem Bier. »Die Zeiten haben sich geändert, Schwartz«, krächzte sie rauchig, »das ist nicht mehr Ihre friedliche Neißegrenze zwischen Waffenbrüdern.«
Diese Petkovic, dachte er, jetzt redet sie schon wieder von Dingen, von denen sie keine Ahnung hat. Von wegen friedliche Grenze: In Polen herrschten jahrelang Kriegsrecht und Ausnahmezustand. Und als in den letzten Tagen des SED -Regimes immer mehr Menschen an der Neiße herumschlichen, um rauszukommen, egal wohin, Hauptsache weg aus der DDR , wurde auch mal scharf geschossen.
»Das Problem heute sind die Neonazis«, gab Liliana Petkovic zu bedenken. »Überall im Osten gibt’s Anschläge auf Ausländer. Auch in Görlitz. Schwarze wie Sie werden da
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