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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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zwischen all den Schuhen, T-Shirts, Magazinen, Landkarten, Schreibmaschinen, Lötkolben und Skizzen anatomischer Art. Zudem versperrten aufgeschraubte Blechkisten mit verquerer Elektronik hartnäckig alle Spuren der Gemütlichkeit. Die Musikanlage mit den selbst gebauten Boxen konnte 200 Watt Sinus.
    Tule spielte ihnen Musik von Bands vor, die Black Flag, Dead Kennedys oder Bad Brains hießen. Er sagte, es sei Musik. Der Rest der Band war da nicht so sicher. Es wurde sehr viel geschrien, und auch die Instrumente klangen, als täte man ihnen weh. Tule sagte, diese Bands hätten eine Botschaft und diese Botschaft ließe sich auf ein einziges Wort reduzieren und dieses Wort hieße: Anarchie.
    Der Rest der Band war nicht ganz so überzeugt, ob eine Botschaft wie Anarchie in Gwynfaer auf ein breites Publikum stoßen würde, ja, ob nicht vielmehr darüber nachgedacht werden sollte, dass es auch Botschaften wie Frieden oder Glück oder so etwas gibt. Erst als das Thema mit den Frauen wieder zur Sprache kam, entspannte sich der Rest der Band. Und wenn es stimmte, dass Frauen Anarchie lieben, wie Tule sagte, dann wollte der Rest der Band Anarchie und nichts als Anarchie. Außerdem gab es Wichtigeres zu entscheiden: Sie brauchten einen Namen. Einen, der sich sofort einprägt, nach nur einmal hören, ein Name wie ein Donnerschlag, ein Name für die Geschichtsbücher und für die Ewigkeit auch. Nach zehn Minuten absoluter Konzentration, in denen jeder in sich ging und Lori sich verlief, wurden schließlich die Ergebnisse präsentiert.
     
    Tules Vorschläge:
     
    Randale deluxe
    Massaker jetzt
    Anarchie mon ami
     
    Kyells Vorschläge:
     
    Die begehrenswerteste Band der Welt
    Helden dieser Tage auf der Suche nach Liebe
    Trio Romantik
     
    Loris Vorschläge:
     
    Schwarz
    Dunkelschwarz
    Pechdunkelschwarz
     
    Sie einigten sich auf Die Unsterblichen.
    Keine Woche später hatte Tule seine Beziehungen spielen lassen und einen Proberaum organisiert. In Hafennähe. Sein Onkel Henrik, der bedeutendste Fischer in Gwynfaer, vielleicht sogar der ganzen Welt, war schon zu Lebzeiten eine Legende. Er besaß mit der Hulahoop das größte Boot weit und breit. 17 Meter lang, 6 Zylinder Dieselmotor, 245 PS. Und er besaß eine kleine Halle mit Kühlanlage, in der er den überschüssigen Fang lagerte, den er einmal die Woche nach Reykjavik fuhr. Von dem Geld, das er am Export verdiente, hätte er eine Familie mit fünf Kindern ernähren können. Aber Henrik wollte eine Familie mit fünf Kindern lieber nicht ernähren, er kam nicht einmal in die Nähe einer solch abstrusen Idee. Dabei war Henrik ein guter Mensch, für den nichts dagegen sprach, dass Die Unsterblichen ein ganzes Wochenende lang in seiner kalten Fischhalle probten. Die größte Überraschung jedoch war, dass Tule auch die Instrumente schon organisiert hatte. Schlagzeug, Bass und Gitarre, dazu die passenden Verstärker, auf denen Orange oder Vox stand. Der Rest der Band war sprachlos, denn es handelte sich um die Musikinstrumente der Gemeindehalle.
    Die Musikinstrumente der Gemeindehalle waren so etwas wie Reliquien.
    Bespielt wurden sie nur an Volksfesten, von ausgebildeten Orchestermusikern oder solchen, die so aussahen, als könnten sie ausgebildete Orchestermusiker sein oder in Zukunft einmal werden. Das hieß, nur ein kleiner Kreis Auserwählter durfte Hand anlegen, sein Geschick erproben und das Publikum verzücken. Wurden die Instrumente nicht bespielt, lagen sie in der Obhut von Malte, dem Gemeindesaalmeister, der für die Pflege und Instandhaltung zuständig war, der sie hütete wie die Kronjuwelen einer Königin. Mit Öl und Wachs wurden sie behandelt, der kleinste Fleck hinwegpoliert, bis die Sonne auf ihnen reflektierte und tanzende bunte Punkte zurückließ. Und nie hätte Kyell gedacht, dass Malte die Instrumente verleihen würde, und schon gar nicht an Tule, der in Gwynfaer nicht den allerbesten Ruf genoss.
    Die Frage nach dem Bandleader stellte sich fortan nicht mehr. Nach kurzer Diskussion stand auch die Aufteilung fest: Lori am Schlagzeug, Kyell an der Gitarre, Tule am Bass und am Gesang. Es gab niemanden in Gwynfaer, der Tule zuvor hatte singen hören. Und was es letzten Endes war, was auch immer er in voller Inbrunst mit dem Mikrofon tat, mussten kommende Generationen beurteilen. Nach der zweiten Probe entschied der Bandleader, dass die Zeit nun reif wäre. Für ihren ersten Auftritt. Ein kühnes Unterfangen, schien doch die Kunst noch nicht ganz ausgereift. Kyell

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