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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Geistern von heute und den Heroen von morgen. Mit der Revolution ist es wie mit dem Krieg, der Arbeit, dem Leben. Die Degenerierten, die entscheiden, bekommen ihren eigenen Untergang nicht mit, ihnen fehlt es dazu einfach an Größe. Und deshalb müssen wir endlich aufstehen! Wir, die sich nicht mehr unterdrücken …«
    Joseph klopfte sehr laut mit dem Hämmerchen.
    »… lassen! Ja, wir wollen die Revolution! Aber wir wollen sie mit Verve und Esprit. Wir sind Künstler, Hacker und Intellektuelle, wir sind die Boheme der Dekonstruktion, die nun nicht mehr in Trainingsjacken herumläuft, Nietzsche und Hitler in einen Suppentopf wirft und ein bisschen den Unangepassten spielt. Die Zeit ist gekommen! Wir sind der Aufstand! Vive la Révolution!«
    »Vive la Révolution!«, schrie auch Gretchen Morgenthau, die aufsprang und ihre rechte Faust gen Himmel streckte. Sie liebte Revolution. Sie musste sich unbedingt eine Baskenmütze kaufen.
    Ihr Anwalt Henry Wallaby silberblickte in ihre Richtung und schüttelte den Kopf. Zwei Uniformierte geleiteten Frederic hinaus und das Publikum tuschelte angeregt, es fühlte sich angemessen unterhalten.
    »Wenn Sie sich dann bitte wieder setzen würden, Frau Intendantin«, sagte Joseph, der noch ein letztes Mal lustlos mit seinem Hämmerchen schlug. »So also stelle ich mir ihre Freizeitgestaltung vor.«
    »Mein lieber Joseph …«
    »Der ehrenwerte Herr Richter Parker.«
    »Bitte?«
    »Es heißt: Der ehrenwerte Herr Richter Parker.«
    Das Publikum giggelte.
    »Mein lieber Joseph, der ehrenwerte Herr Richter Parker, ich möchte Einspruch erheben.«
    »Gegen was?«
    Gretchen Morgenthau überlegte. »Rosinen?«
    »Bitte?«
    »Im Apfelkuchen.«
    »Nun gut, Sie hatten also an besagtem Mittwoch Revolution, es gab alkoholische Getränke und sie sind in eine Polizeikontrolle geraten.«
    »Ich hatte kaum getrunken. Der Chablis, ich glaube, es war ein Cru Montée, war zu trocken. Sechs oder sieben Gläser. Auf keinen Fall mehr als acht. Und ausgerechnet an jenem Abend war das Kontrollgerät der Volkswachtmeister kaputt. Es zeigte 1,4 Promille. Ein Ding der Unmöglichkeit. Eine Farce. Das teilte ich dem Mädchen mit der praktischen Frisur, die in ihrer Uniform ganz reizend aussah, auch mit. Ich erwähnte noch ihre Unterbezahlung für solch einen gefährlichen Beruf und lobte ihre Tapferkeit über alle Maßen. Ich glaube, ich verglich sie mit Jeanne d’Arc. Das Mädchen mit der praktischen Frisur aber sagte, sie kenne keine französischen Schauspielerinnen, ich solle mal ins Röhrchen blasen.«
    »Was Sie dann auch getan haben.«
    »Eine Dame meines Standes bläst nicht in ein Röhrchen. Es sei denn, man droht ihr mit Blutentnahme.«
    »Sie haben also geblasen und dann kam es zu einem Disput.«
    »Nun ja, Disput. Das Mädchen mit der praktischen Frisur wurde, als es das Ergebnis ablas, pampig. Ich durfte nicht mal weiterfahren. Es ist selten schön, das wahre Gesicht des Menschen.«
    »Und was genau passierte dann?«
    »Amnesie.«
    »Bitte?«
    »Gedächtnis …«
    »Ich weiß, was Amnesie bedeutet. Das Mädchen mit der praktischen Frisur, oder auch Police Constable Wingham, hat glücklicherweise ein dezidiertes Protokoll angefertigt.«
    »So, hat sie das?«
    »Ja, hat sie.«
    »Pflichtbewusstsein ist eine Bürde, die nicht jeder zu tragen vermag. Ich beispielsweise gehe nur bei Rot über die Ampel, wenn kleine Kinder zugegen sind.«
    »Ich zitiere: Wir klärten die offensichtlich stark alkoholisierte Frau Intendantin über ihre Rechte auf, die daraufhin erwiderte: Wenn Sie nicht bis drei wieder in Ihr Tatütata einsteigen, werde ich Ihnen die Kehle durchschneiden, Ihr Herz rausreißen und es aufessen.«
    »Das soll ich gesagt haben?«
    »Haben Sie nicht?«
    »Vielleicht lag mir die Kassiererin noch im Magen.«
    »Welche Kassiererin?«
    »Die aus dem Supermarkt. Ich gehe ja eigentlich kaum noch selbst einkaufen. Also Lebensmittel. Das Licht, die Musik, der Geruch, alles nur eine einzige Demütigung. Kein Wunder, dass dort illegaler Organhandel betrieben wird.«
    »Bitte?«
    »Das Ungetüm fragte, ob ich Herzchen sammle.«
    »Welches Ungetüm?«
    »Fettige Haare, schlechte Zähne, süßer Schweiß. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie so nicht Kassiererin des Monats August werden würde. Und der September wäre auch schon verloren. Schien sie aber nicht zu tangieren. Sie fragte nicht mal, ob ich eine Tüte wolle. Wollte ich auch nicht, ich hatte ja einen Jutebeutel von Gaultier dabei, aber fragen

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