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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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hätte sie schon können, wie will man denn sonst eine Kundenbindung aufbauen?«
    »Frau Intendantin, wenn Sie bitte mal zum Punkt kommen könnten.«
    »Welcher Punkt? Der Jutebeutel war eine limitierte Sonderanfertigung.«
    »Was genau passierte, nachdem Sie Police Constable Wingham drohten, ihr die Kehle durchzuschneiden?«
    »Ich bin nach Hause gegangen?«
    »Nein, sind Sie nicht.«
    »Bin ich nicht?«
    »Nein.«
    »Ach.«
    »Ich zitiere noch einmal aus dem Protokoll: Während der Überprüfung der Papiere startete die Frau Intendantin ihr Auto, einen Jaguar MK II, setzte den Rückwärtsgang ein und fuhr in den Streifenwagen. Dabei entstand ein Totalschaden am Dienstfahrzeug der Beamten.«
    »Ach, das kleine Missgeschick habe ich ganz vergessen.«
    »Das kleine Missgeschick dürfte, wie Sie vielleicht schon vermutet haben, einige Konsequenzen nach sich ziehen. Das Gericht wird sich jetzt zurückziehen und über eine angemessene Kompensation beraten.«

10
    Kyell schwitzte Schalotten, Chilis, Knoblauch und Fenchel in einer tiefen Gusspfanne kurz an, dann gab er die gewürfelten Tomaten und den halben, in hauchdünne Streifen geschnittenen Pfirsich hinzu. Er rührte eine Zeitlang, bis die einzelnen Zutaten ein buntes Durcheinander ergaben, dann kippte er die gewaschenen und gebürsteten Miesmuscheln hinein und löschte alles mit einem guten Schuss Weißwein ab. Kyell kochte gerne. Der Großvater hatte es ihm beigebracht, von klein auf, kaum dass er richtig gehen konnte. Anfangs musste er sich gar auf Zehenspitzen stellen, um überhaupt etwas sehen zu können, auf dem großen, alten Gasherd, aus Edelstahl, Kupfer und Emaille, mit dem mächtigen Gewölbebackofen und den Gasbrennern, die immer Wusch machten, wenn die offene Flamme auf das Gas traf. Und er konnte sich daran erinnern, wie der Großvater immer unter mächtigen Gesten allerlei Gewürze wild in die Töpfe warf und wie er dabei lauthals lachte und wie es dann immer roch, in der Küche, nach Minze und Rosmarin, nach Anis, Nelken und Lorbeerblättern, dass ihm ganz schwindelig wurde von all den olfaktorischen Eindrücken. Seither kochte auch Kyell gerne, gleichsam unkonventionell, wenn auch ein wenig bedachter und mit weniger Getöse. Und er kochte gerne für andere. Er liebte es, verstohlen in ihren Gesichtern zu lesen, wenn sie seine Gerichte probierten, wenn sie diese kleinen und größeren Regungen zeigten, die Genuss, Befremdung, Ekel, Freude oder Verwunderung bedeuteten.
    Tule saß auf dem alten, mit Flicken verzierten Ledersessel und las in einem Musikmagazin. Er stellte sich gerne als Versuchskaninchen zur Verfügung. Ganz uneigennützig. Jederzeit. Sie waren beste Freunde, da war es selbstverständlich, füreinander da zu sein. Beide waren sie 18 Jahre alt, andere Gemeinsamkeiten gab es so gut wie keine. Tule war von seltener Beredsamkeit und er war, im Gegensatz zu Kyell, fasziniert von der neuen Welt und der Kultur, die in ihr gedieh. Er sog alles auf, was mit Musik und Malerei, mit Film und Literatur zu tun hatte. Er kannte Künstler, von denen in ganz Gwynfaer noch niemand jemals etwas gehört hatte. Er wusste von Epochen zu berichten, die wie ferne Galaxien klangen, und von Menschen, die mindestens verrückt sein mussten oder noch sehr viel mehr. Auch Tule musste bald gehen, und obgleich er bei jeder Gelegenheit betonte, wie sehr er sich darauf freue, war selbst er nicht wirklich sicher, was er einmal werden wollte. Er wusste, dass er mit Worten gut umgehen konnte. Göttlich, wie er befand.
    Zur ersten Orientierung wurde er Praktikant beim Internationalen Boten, der ersten und einzigen wöchentlichen Tageszeitung für Gwynfaer und Peripherie. Da Ingvar, Verleger, Drucker und Chefredakteur des Internationalen Boten, personelle Engpässe zu beklagen hatte, beförderte er Tule flugs zum Feuilletonisten. Schwerpunkt: gesellschaftspolitische Analysen im Spannungsfeld zwischen Ubiquität und Pipapo. Obgleich Tule sich geschmeichelt fühlte und seine zwölfseitigen Einwürfe über Die historische Zukunft im Zweifel der Laterne vor messerscharfer Brillanz und dialektischer Tiefe nur so sprühten, fühlte er sich doch unterfordert, ganz so, als sei er nur der Pausenclown. Dafür aber ward er nicht geboren, nein, er war mehr als das, viel mehr. Tule hatte Ideen wie andere Menschen Brot. Jeden Tag aufs Neue. Wenn er das erste Mal von ihnen erzählte, dann klangen sie immer wie honigsüße Melodien, und zauberhaft sahen sie aus, als malte das Christuskind

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