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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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hatte nach wie vor Probleme bei dem Übergang von F-Dur auf g-Moll, und auch wenn es die einzigen Akkorde waren, die er in dieser kurzen Zeit zu spielen vermochte, so lag ihm doch viel daran, sie möglichst formvollendet zu intonieren. Auch die Rhythmussektion schien nach Kyells Dafürhalten Perfektion wie einen Feind zu behandeln. Loris Taktgefühl war einzigartig, kaum zu verstehen und von zeitloser Verlorenheit. Er hatte eine Zählweise entwickelt, der zu folgen nur ein mathematisches Genie imstande war, was Tule wiederum nicht im Geringsten zu interessieren schien, Hauptsache, sie waren laut. Und authentisch.
    Am Tag des Auftritts lag ein Dunstschleier aus Nervosität über ganz Gwynfaer. Die Band wusste, es konnte der ganz große Durchbruch werden oder aber ein furioses Fiasko. Tule hatte einhundert Plakate drucken lassen, in Hagwars Internationalem Kolonialwarenladen, im Siebdruck, in superschönen Farben. Das Plakat zeigte ein Monster, das eine Frau aß, oder so ähnlich. Auf jeden Fall war sehr viel Blut dabei. Tule sagte, Blut sei wichtig, da wären die Fans konservativ. Wie auch in der politischen Botschaft. Tule wählte das subtile Bonmot: Das System fickt euch alle und wir ficken euch.
    Sie rechneten mit 3000 Zuschauern. Vorsichtig geschätzt. Es war schwer auszumachen, wie berüchtigt Die Unsterblichen auch außerhalb Gwynfaers schon waren. Der Bandleader meinte, es hänge alles von der Mundpropaganda ab. Die Community sei extrem treu und reise auch schon mal tausende Kilometer weit, nur um ihre Helden live spielen zu sehen. Da sie sich Sorgen um die sanitären Einrichtungen machten, beantragten sie bei Arne eine eigene Künstlertoilette. Ihr Anliegen aber wurde abgewiesen, mit der Begründung, dass separierte Künstlertoiletten für Unruhen in der Bevölkerung sorgen könnten. Wie sich aber herausstellen sollte, war diese Sorge völlig unbegründet, da die 47 zahlenden Gäste gar nicht mussten.
     
    Die Setlist mit wichtigen Anweisungen des Bandleaders:
    Intro
    Improvisation
    Finale
    Takt: 4/4
    Dynamik: Fortissimo forte
     
    Sie hatten nicht an die Zugabe gedacht, dafür aber Glück im Unglück, denn eine musikalische Zugabe war gar nicht nötig. Als Tule mitten in der Improvisation anfing, die Bassgitarre auf der Bühne zu zertrümmern, indem er sie in den Verstärker schlug, mit Benzin übergoss und anzündete, da stürmten Malte, der Gemeindesaalmeister, und seine Bühnenhelfer Erik und Torben auf die Bühne und prügelten mit einer solchen Leidenschaft auf Tule ein, dass der Rest der Band in eine Art Schockstarre verfiel und sich für Tannenbäume hielt. Das Publikum fühlte sich angemessen unterhalten und verlangte wohlgelaunt nach einer Zugabe. Tule trug noch Tage später den fehlenden Zahn und das blaugelbe Auge mit dem Stolz eines raubeinigen Kriegers vor sich her und behauptete, dass Shane MacGowan gegen ihn wie ein Model für Feuchtigkeitscreme aussehen würde. Der Rest der Band hatte keine Ahnung, wer Shane MacGowan war.

11
    Im Gerichtsflur roch es nach Äpfeln und feuchter Farbe. Der Boden war frisch gewienert, es stand ihm gut, er strahlte gar. Kinder übten rutschen, bis ihre Mutter sie zur Ordnung rief. Für einen Ort, in dem jeden Tag aufs Neue Hunderte Schicksale eine neue Wendung erfuhren, war die Stimmung seltsam entspannt. Dabei wirkte das Gerichtsgebäude in seiner gotischen Anmut schon von außen recht einschüchternd. Auch die große Halle mit den Mosaikböden und Buntglasfenstern mahnte den Besucher zur Demut, denn nie sollte vergessen werden, dass das Leben eines jeden in den Händen der Gerechtigkeit lag, und Gerechtigkeit war nun einmal das mächtigste Wort, das der Mensch jemals erfunden hat.
    In einem Seitenflügel, etwas im Abseits, standen Gretchen Morgenthau, Fine und Henry Wallaby, der Anwalt. Sie unterhielten sich mehr gelangweilt als angeregt über pfirsichfarbene Vorhänge in Zeiten rabulistischer Plusterei, als Gretchen Morgenthau aus dem Augenwinkel bemerkte, wie ein rüstiger Mann in grüner Lodenjacke auf sie zustolzierte. Voller Mut und Entschlossenheit und mit zorniger Farbe im Gesicht hielt er eisern den Blick nach vorne gerichtet, die brüchigen Lippen zitterten leicht, und wäre er ein Vulkan gewesen, so hätte ein tiefes Grollen im Innern seinen Ausbruch angekündigt. Als er sein Ziel erreichte, baute er sich auf, wie kleine Männer es immer taten, wenn sie der Frau Intendantin im Angesicht gegenüberstanden.
    »Jetzt also ist der Augenblick gekommen«,

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