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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Scherzhaftes zu. Die Susann ärgert sich ein bisschen über die Christiane, fühlt sich unbeholfen herumstehen und greift nach dem Gepäck des Juden.
    «Zu schwer fir alte Männer», murmelt der Jude, gerade einmal zwischen vierzig und fünfzig, und zwinkert ihr zu, was aber die Susann ignoriert.
    Die Bauerin gibt die Führerin auf dem Weg nach oben. Sie geht vorneweg, dann folgt der Holländer (der sich bei allen Türen und die Stiege hoch unentwegt ducken muss, um den Kopf nicht zu stoßen), dann der Jude, dann die Susann mit dessen Gepäck. Schwaden von Männerschweiß steigen ihr in die Nase. Sie erwischt sich dabei, wie sie versucht, die persönliche Note des Holländers herauszuriechen.
    Während sie dem Juden in der ersten freien Stube seine Sachen in die Kiste legt und Feuer macht, ist die Frau Bauerin mit dem Holländer längst weitergegangen. «Dank Eich scheen», sagt der Jude am Ende sehr freundlich und reicht der Susann sechs Kreuzer. «Ich bedank mich bei Ihnen», sagt die Susann, sehr charmant zum Ausgleich für das verweigerte Lächeln vorhin, und erklärt ihm, bevor sie die Stube verlässt, dass sich die heimlichen Gemächer ganz hinten rechts befinden.
    Draußen auf dem Gang bleibt sie unschlüssig stehen. Ist denn die Frau Bauerin noch mit dem Holländer in dessen Zimmer? Soll sie hingehen und etwas ausmachen wegen des Essens, oder gilt das schon als geklärt?
    Da geht eine Tür, und die Frau Bauerin kommt mit wackelndem Doppelkinn angerauscht. «Ach, Susann, Ihr kümmert Euch um den jungen Mann, gelle? Wegen dem Essen?»
    «Gern», befindet die Susann und drückt sich im engen Korridor an die Wand, damit die Bauerin vorbeikann. Ist das Feuer bei ihm denn schon gemacht?, fällt ihr plötzlich ein. Und soll sie ihm nun jetzt gleich etwas zu essen besorgen, trotz der späten Stunde, oder erst ab morgen?
    Während sie noch zögert, tritt der Holländer aus seiner Stube und schlendert auf sie zu.
    «Ihr seid Susann?»
    Er sagt: Sßüsann.
    «Ja», sagt sie, «die bin ich.»
     
    Später, beim Zubettgehen, befindet die Christiane im Flüsterton, dass sie den Holländer für einen Spitzbuben und Räuber hält.
    «Was!?», zischt die Susann. «Wie kommst du denn da drauf?»
    Es habe, vermeldet die Christiane wichtig, im Reisesack des Holländers, als dieser ihn schulterte, verdächtig geklimpert wie von Schmuck, und im Übrigen spreche es doch für sich und ein schlechtes Gewissen, dass der Holländer niemanden an den Sack gelassen habe. Die Susann kann diese Bedenken nicht ernst nehmen und belehrt die Christiane, all dies sage gar nichts, da es im Gepäck des Juden ebenfalls geklimpert habe. Oben im Zimmer habe er ihr erzählt, er handele mit Schmuck. Der Holländer sei ja nun offensichtlich sein Kamerad oder Diener und habe wahrscheinlich eher sie beide im Verdacht zu stehlen, als dass er selbst daran dächte. Außerdem hausten Räuber für gewöhnlich bandenweise im Wald und stiegen nicht einzeln in wohlbeleumundeten Gasthäusern ab.
    «Dann halt ein Beutelschneider», murmelt die Christiane störrisch ins Kissen. «Ein Spitzbub allemal.»
    Die Susann beherrscht sich und hält den Mund.

FEITAG, 2. AUGUST 1771, VOR MITTERNACHT
    WÄHREND DER Herr Brentano sich inzwischen zu Hause schon bettfertig machte, hatte der Sergeant Brand seinen Dienst für den Tag noch keineswegs beendet. Aber allmählich ließ sich ein gewisser Substanzverlust beobachten. Als nämlich der Sergeant, gut zehn Minuten nach seinem Eintreten, das Spital zum Heiligen Geist ohne Begleitung wieder verließ, da begab er sich zunächst einmal an den davor gelegenen Brunnen, wusch sich Gesicht und Hände und verharrte dann einige Augenblicke, den Kopf gesenkt, die Arme auf den Brunnenrand gestützt.
    Noch immer etwas langsam, wandte er sich schließlich um und ging die paar Schritte durchs Geistpförtchen an den dunklen Mainkai, wo er seine Blase entleerte und dabei zwischen ein paar Schiffsmasten den klaren Südhimmel betrachtete. Gähnend ließ er die Augen vom Sternbild Herkules über den Schlangenträger nach unten zum Schützen gleiten, der nur knapp über den Horizont ragte. Dann schüttelte er den letzten Tropfen ab, nestelte seine Hose zu, seufzte einmal kurz auf und machte, wieder voll im Dienst, zackig auf dem Absatz kehrt. Laut klackerten seine Schuhe auf dem Pflaster: zum Römerplatz, dann die Neue Kräme hinauf, am Liebfrauenberg links und durch die Katharinenpforte zum Heumarkt, wo neuerdings das sehr moderne Gebäude der

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