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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Hauptwache nebst Exerzierplatz stand.
    Dort hatte man sich schon für die Nacht eingerichtet und war, soweit nicht auf Pritschen gelagert und gänzlich entrückt, in einem soldatischen Halbschlaf begriffen, der zur Not als Wachheit durchgehen konnte. Solcherart nämlich, dass man bei unerwarteten Ereignissen oder Geräuschen sofort wieder alert und präsent wäre. Da selbst der Posten bei der Tür mit halb geschlossenen Augen an der Wand lehnte, muss konstatiert werden, dass in der Hauptwache nur eine Person wirklich hellwach war: nämlich der augenblicklich wichtigste Gefangene. Das war der hochedelgeborene Ratsherr und Freiherr Johann Erasmus von Senckenberg (der jüngste der drei Hasen aus der Hasengasse), welcher seit nunmehr eineinhalb Jahren oben im südwestlichen Mansardeneckzimmer in Arrest gehalten wurde und dabei am meisten unter Schlaflosigkeit sowie an Langeweile litt. Und natürlich unter den Besuchen seines älteren Bruders Christian, dieses Ausbunds an Edelmut und frommer Missbilligung, die ihn immer ganz gallig und malade zurückließen.
    Schon die knallenden Absätze des forsch unten herannahenden Offiziers hatten ihm verraten, dass etwas im Schwange war. Die Ohren nun gespitzt, hörte er kurz darauf militärisches Gebell: «Befehl des Jüngeren Herrn Bürgermeisters», «Weibsperson», «Zirkulieren an den Toren». Bald danach wieder Schritte draußen, zwei Personen diesmal: einer marschierte schnell Richtung Bockenheimer Gasse, einer etwas langsamer nach Südwesten.
    Der Letztere war der Ordonnanzoffizier und Sergeant Brand, der nun endlich, endlich seinen Dienst für diese Nacht beendet hatte und nach Hause ging.
    Derweil überlegte Erasmus Senckenberg (der sich an das von nie so richtig gewöhnt hatte), was denn ausgerechnet eine Weibsperson so Schlimmes getan haben kann, dass eine Order zu ihrer Arretierung mitten in der Nacht an die Tore der Stadt zum Zirkulieren gegeben wird.

ERSTER ADVENT 1770
    SONNTAGS, es ist noch stockduster, kommt die Susann vom Wasserholen herein, da findet sie den Holländer wach und gutgelaunt und blaurot bekleidet mit dem Juden in der Bierstube sitzend vor. «Sßüsann», sagt er, «ein schönen Morgen. Darf ich etwas von Euch fragen? Wisst Ihr vielleicht, wo in Frankfurt ein reformierte Kirche ist?»
    Das wisse sie sehr gut, antwortet die Susann und stellt ihr Wasser ab, sie gehöre nämlich selbst ebenfalls der reformierten Religion an. «Was!», ruft der Holländer, «so ein schöne Zufall!»
    Die Susann lacht. «Ich muss Ihm aber sagen, es gibt leider in ganz Frankfurt keine reformierte Kirche. Aber dafür gibt es eine schöne neue nicht weit draußen in einem Dorf. Bockenheim heißt es.»
    Es war nämlich so, dass der Frankfurter Rat im letzten Jahrhundert zwar ohne Zögern die Reformierten als Flüchtlinge aufgenommen hatte – man hielt es ja generell vermischt mit der Religion, indem man als mehrheitlich lutherische Stadt zugleich kaiserlich-katholisch war. Das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass man für völlige Religionsfreiheit gewesen wäre. Aja, die Juden und Katholiken, gut, die kannte man und die hatten ältere Rechte (verlorene Seelen waren es ohnehin). Aber calvinistische Gottesdienste? Solche Ketzerei nun doch nicht! Da griff man doch lieber nach einer mittleren Lösung: ansiedeln lassen ja, fleißig arbeiten und Reichtümer anhäufen lassen ja, Abendmahl feiern lassen − nein. Damit sie trotzdem dablieben, erinnerte man die Reformierten an die hübschen Vororte: Das war doch so ein Aufwand nicht, des Sonntags mal frisch durch Wiesen und Felder nach Bockenheim hinauszuspazieren und dort in die Kirche zu gehen!
    Für manche allerdings schon.
    Da nämlich die Susann nun anfängt, dem Holländer den Weg nach Bockenheim zu erklären, fragt er doch unvermittelt: «Sßüsann, wollt Ihr nicht heute in die Kirche mit mir zusammen gehen?»
    Zu ihrem tiefsten, schmerzlichsten Bedauern muss sie ablehnen: Leider könne sie heut nicht fort.
    Himmel! Sie hat auch wirklich Pech! Bis vor kurzem ist sie noch vierzehntäglich zum Gottesdienst gegangen, im Wechsel mit der Christiane. Aber die hat in letzter Zeit ein großes Aufhebens davon gemacht, dass diese Regel nicht gerecht sei. Und zwar deshalb, weil die Susann wegen der Entfernung nach Bockenheim für einen Kirchgang den guten halben Tag zu brauchen pflegt, selbst wenn’s kein Festgottesdienst mit Abendmahl ist, während die Christiane, die lutherisch ist und es nicht so weit hat, immer ruck, zuck

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