Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
gekommen, und dann hätte sie ihm auch ihre Schwestern und den Bruder vorstellen können, und er hätte ihr seinen Namen gesagt und wo er genau herkommt und hinwill, und untergehakt hätt er sie natürlich − ach, das weiß sie schon, so eine Gelegenheit bekommt sie nie mehr wieder.
Zum Trost beugt sie sich dicht über sein Bett, schnüffelt ungefähr auf Höhe der Schultern am Laken, findet eine Stelle, die nach ihm duftet, und zieht mit geschlossenen Augen ganz tief die Luft ein. Ach!
Er kam erst so gegen drei zurück.
Sowie die Susann draußen seinen Schritt hört, den sie inzwischen genau kennt, saust sie von der Bierstube durch die Bauerische Stube und Schlafkammer in die Küche, wo sie ein schönes Feuer brennen hat. Mit fliegenden Händen holt sie das Essen aus der Speisekammer und stellt es zum Aufwärmen auf den Herd – während die sieche Christiane meckert, weil sie fürchtet, dass sie später die Töpfe abwaschen soll. Dann saust die Susann zurück durch die Bauerische Stube auf die Stiege und erwischt ihn gerade beim Hochgehen: Das Essen komme gleich, sie wolle es nur kurz wärmen.
Wärme könne er in jedem Fall gebrauchen, befindet er lachend, streckt ihr seine Hand hin zum Fühlen, wie kalt die Finger sind, und bittet, wenn möglich noch einen zusätzlichen Krug Wein mitzubringen.
Die Susann muss am Ende dreimal laufen, hoch zu ihm in den dritten Stock. Er bekommt das Übliche: Fleisch und Gemüse nebst Suppe und Kuchen, und das mit noch zwei großen Weinkrügen dazu − leider ist sie heut einfach zu fahrig, um alles auf einmal sicher zu jonglieren. Wozu auch die Eile, in der Bierstub ist am heutigen ersten Advent kaum ein Gast. Nur der Bonum sitzt mit dem fremden Juden und der Hundchen beim Kartenspiel und kann, wenn nötig, Aufsicht führen.
Schließlich hat sie alles vor den Holländer hingestellt, auf den Tisch am Bett, wo er sitzt. Er bedankt sich und gibt ihr wie üblich fünf Kreuzer, sie bedankt sich ebenfalls, steckt das Trinkgeld ein, wischt die Hände an der Schürze und ist eine Spur enttäuscht, weil sie, wie sie jetzt spürt, zwar nicht mit mehr Geld, aber mit einem besonderen Dank gerechnet hatte für die besondere Mühe, die sie sich heute für ihn gegeben hat. Das ist ihm aber offenbar nicht aufgefallen. Warum auch. Er kann ja gar nicht wissen, dass sie heut Mittag einen Aufwand hatte, alles in passende Töpfe umzufüllen, oder dass sie eben Geschirr von dem Porzellan der Frau Bauerin stibitzt hat, weil sie das von drüben ja nach einer Stunde wieder zurückbringen musste, und dass es gegen die Regel war, dass sie den Ofen in seiner Stube vorgeheizt und ihm zuliebe auch das Herdfeuer in der Küche angelassen hat, um ihm schnellstmöglich das gewärmte Essen servieren zu können. Erst recht ahnt er nicht, wie sie die ganze Zeit mit wachem Ohr auf seine Ankunft gelauscht hat.
Ob er denn Bockenheim und die Kirche nach ihrer Beschreibung leicht gefunden habe?, erkundigt sie sich, nur um noch irgendwas zu sagen. Er, die Finger blaurot verfroren, hat schon den Löffel in der Suppe. Kurz lacht er auf und sagt dann: «Aber Sßüsann, das muss ich Euch doch auch erzählen. Ich bin nach Bockenheim gefahren . Und ich habe Euer Schwester kennenlernt.»
«Was?!», ruft die Susann, verblüfft und begeistert zugleich, für einen Moment vergisst sie ihre Befangenheit.
«Ja, aber es ist eine ganze Geschichte. Wollt Ihr Euch ein bisschen hier bei mir setzen?»
Und er richtet sich behände auf zu seiner vollen Größe, ist mit einem Schritt an der Wand, räumt seinen Hut und verschiedenen Kram von dem dort stehenden Stuhl, dem einzigen im Raum, stellt ihn schwungvoll mit einem Griff an den Tisch und macht eine ebenso ausladende wie einladende Geste mit dem Arm.
«Gleich», sagt die Susann, «ich bin sofort wieder da, ich will nur unten schnell −»
«Oh, Sßüsann, Ihr musst nicht − bitte −»
Da poltert die Susann schon draußen die Treppe hinunter.
Atemlos fragt sie in der Bierstube den Bonum, ob er ein Auge haben und zur Not bedienen könne, sie habe oben Verschiedenes zu erledigen, und die Christiane sei krank, sie werde es ihm bei nächster Gelegenheit verg−
Aber, aber, befindet der Bonum, wozu die Aufregung, das sei doch selbstverständlich. Und spielt seine nächste Karte aus.
Die Treppen wieder hochgehetzt, fühlt die Susann, wie ihr an diesem kalten ersten Advent der Schweiß ausbricht. Zumal sie dem Holländer zuliebe in dessen Stube ein wirklich verschwenderisches
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