Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
wieder zurück ist − angeblich. Also besteht die Christiane neuerdings darauf, dass die Susann nur einmal im Monat gehen darf. Und da sie vorletzte Woche erst war, darf sie also heute keinesfalls in die Kirche (wofür sie die Christiane und ihre neuen Launen verflucht).
«Dann muss ich allein den Weg finden», bemerkt der Holländer, bestens gelaunt. Als der Jude ihm abrät, den weiten Weg nach Bockenheim überhaupt auf sich zu nehmen bei dem kalten Wind, und die Susann schnell beipflichtet, erklärt er: Doch, er wolle auf jeden Fall gehen. So viele Gelegenheiten werde er in nächster Zeit wohl dazu nicht mehr haben.
Ob sie denn heut Mittag trotzdem eine Mahlzeit holen solle? Oder ob er die Absicht habe, unterwegs zu essen?, erkundigt sich die Susann, schon etwas unruhig, weil sie mit halbem Ohr durchs Fenster die Frau Bauerin den Bonum auf dem Hof nach ihr fragen hört, und erhält von dem Holländer zur Auskunft: Dass sie am besten wie gewöhnlich das Mittagessen für ihn holen und mit einem Deckel auf sein Zimmer stellen solle. Er esse dann, wenn er zurückkomme.
Die Susann will sich lieber nicht mehr weiter aufhalten, greift nach ihrem Wassereimer und macht sich ab in Richtung Küche. Auf dem Weg durch die Wohnstube trifft sie die Frau Bauerin, als die vom Hof aus hereintritt.
«Ach Susann, da seid Ihr ja! Ihr müsst mir heute mit der Christiane die Stellung halten. Ich bin mit meinen Kindern bei der Frau Körbelin zur Taufe.»
Na, da kann sie die Kirche ja nun ganz gewiss vergessen. Ansonsten hätt sie die Christiane zumindest nochmal gefragt, ob sie nicht heute eine Ausnahme haben kann, für einen späteren Gefallen.
Als sie durch die Kinderschlafkammer kommt, stellt sie fest, dass es dort zu allem Übel noch aussieht wie Kraut und Rüben. In der Küche findet sie dann die Kameradin bleich und mit angezogenen Beinen auf dem Bett sitzend vor: sie hätt so Leibschmerzen. Ihr Blut hätt sich vor der Zeit eingestellt. Ob die Susann heut beim Bettenmachen ihre Zimmer mit übernehmen könne? Sie revanchiere sich dann morgen.
Das ist nun mal der Usus, wenn die Christiane ihr Gewöhnliches bekommt. Was soll die Susann tun, sie sagt natürlich ja. Und da es mit den Betten allmählich schon pressiert, stellt sie das Wasser ab und nimmt sich als Erstes gleich nebenan die Kinderschlafkammer vor. Eigentlich passt die Mehrarbeit heut so schlecht nicht, weil sie wegen der Abwesenheit von der Frau Bauerin samt Anhang wenig kochen muss. Wenn sie überhaupt was kocht. Die Christiane pflegt am ersten Tag von ihrem Blut an Übelkeiten zu leiden und wird nichts zu sich nehmen wollen.
Aber als sie oben bei den Gästebetten anlangt, speziell als sie im dritten Geschoss das Zimmer von dem Holländer aufschließt und sich an dessen Bett begibt, da merkt sie erst, wie bitter es schmerzt, dass sie heut nicht mit ihm nach Bockenheim kann. Ach, wie gern wär sie gegangen! So sehr hat ihr schon lange niemand mehr gefallen. So groß und sicher und lebensfroh wie er … und wie schön er aussieht in seinem blauen Rock.
Und überhaupt: Wann hat sie denn sonst einmal Gelegenheit, mit einer passenden Mannsperson Bekanntschaft zu schließen! Vor lauter Schufterei kommt sie kaum vor die Tür, im Haus übernachten fast nur Juden, und auf den Christoph Bauer, auf den kann sie auch nicht mehr sicher setzen. Ganz im Gegenteil. Indem nämlich neuerdings getuschelt wird, er hätte was mit dem Lieschen Körbelin. Nachts soll man ihn dort schon einsteigen sehen haben. Und man kennt das ja – wenn schon alle davon sprechen, dann wird es vielleicht doch bald einmal zum Heiraten kommen, obwohl die Frau Bauerin es lieber noch viele Jahre aufschieben tät, weil sie sich fürs Altenteil noch etwas jung vorkommt.
Fast bereut die Susann, dass sie den Christoph damals brav abgewehrt hat. Hätt sie ihn doch rangelassen, statt sich zusammenzunehmen, Lust hätt sie ja gehabt. Früher oder später hätt er sie dann heiraten müssen, dafür hätte dann schon ihre Schwester Dorette bei der Frau Bauerin gesorgt. Und sie und die Frau Bauerin, sie hätten sich wohl arrangiert zusammen. Stattdessen wird es höchstwahrscheinlich ihr, der Susann, nun genauso ergehen wie ihrer ältesten Schwester Käthe, die auch vor lauter Arbeit nie an einen Mann gekommen ist und noch froh sein muss, neuerdings bei der Ursel mit im Haus wohnen zu dürfen.
So eine schöne Gelegenheit wäre das gewesen mit dem Holländer. Sie wären sich bei dem Kirchgang vielleicht näher
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