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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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muss zigfach durchgekäut werden, was in der Waschküche geschehen ist.
    Da kommt nun auch die Schere zur Sprache. Die Inquisitin gibt inzwischen zu, damit die Nabelschnur abgeschnitten zu haben. Doch das reicht den Herren überhaupt nicht. Nicht bei den verdächtigen Umständen, indem nämlich die Inquisitin ebenfalls zugibt, die Schere nach ihrer Arretierung der Krankenwärterin Schmidtin geschenkt zu haben, auf dass man sie nicht bei ihr fände. Also bohrt der Jüngere Herr Bürgermeister nach: Ob sie nicht dem Kind am Körper Verletzungen zugefügt habe mit der Schere?
    Worauf die Inquisitin müde antwortet: Ja, sie habe das Kind auch mit der Schere verletzt.
    Warum sie das getan habe?
    Damit es verblute.
    Wo sie es denn genau mit der Schere verletzt habe?
    Das wisse sie nicht mehr.
    Überhaupt weiß die Inquisitin einiges nicht mehr. Zum Beispiel wo sie die Nachgeburt hingeschafft hat. Sie habe sie in der Waschküche gelassen, behauptet sie, doch wo genau, das könne sie nicht sagen, denn sie sei damals «ganz verheert und verstört im Kopf» gewesen.
    Zum gelinden Erstaunen der Herren Lindheimer und Siegner mischt sich irgendwann ungefragt und nach lautem Räuspern der Ratsschreiber Claudy ein.
    Ob sie denn keine Reue während der Tat verspürt habe?
    Die Susann ist ihm dankbar für diese Frage.
    Nicht während der Tat, sagt sie, da ist sie ganz verstockt gewesen. Doch als es vorüber war, als sie oben im Hinterbau auf der Treppe saß, lieber Herr Jesus, ja, da hat es sie so bitter gereut, ihr armes Kind umgebracht zu haben.
    Und sie bittet sehr, sehr dringlich, man möchte ihr doch einen Geistlichen schicken, dass der ihr beten und an ihrer Seele arbeiten hilft.

12. OKTOBER 1771
    WÄHREND IM HAUS Zu den drei Leiern im Großen Hirschgraben die Vorbereitungen zu einem Fest laufen, bewegt sich die Untersuchung gegen Susanna Margaretha Brandin auf ihren Abschluss zu. Man hat nochmals, ein allerletztes Mal, die Witwe Bauerin vorgeladen.
    Auf Betreiben vom Lindheimer, versteht sich, den das Rührstück von der ahnungslosen, fürsorglichen Dienstherrin seit der ersten Verhörsitzung mit der Wirtin kräftig ärgert. Vornehmlich, weil die Alte offenbar glaubt, das Peinliche Verhöramt an der Nase herumführen zu können. Und an der Nase herumführen lässt sich der Lindheimer nicht gern. Schon gar nicht von einem Frauenzimmer.
    Die Frau Bauerin, die heute vorm Peinlichen Verhöramt erscheint, ist allerdings nicht mehr die gleiche Person wie vor drei Monaten.
    Aschfahl sieht sie aus, dreißig, vierzig Pfund leichter und zehn Jahre älter. Von der frechen Selbstsicherheit ihres ersten Auftritts hier im August keine Spur.
    Dabei hatte sie nach der Verhaftung von der Susann noch gedacht, sie betreffe das alles kaum. Oder lange nicht so, wie es die Schwestern betraf jedenfalls, die taten ihr wirklich leid, die Hechtelin insbesondere natürlich. Aber sie selbst, dachte sie, könne alsbald zur Tagesordnung übergehen. In Wahrheit jedoch war es umgekehrt. Es ist nämlich leider sie, nicht die Hechtelin oder die Königin, sie ist es, die täglich, stündlich, minütlich das Fehlen der Susann spürt, so als hätte man ihr die rechte Hand abgehackt. Sie ist es, die im Gegensatz zu den Schwestern kein kleines Kind hat, das erst einmal wichtiger wäre als alles andere. Sie allein ist es, die es noch immer nicht geschafft hat, eine Erklärung für das Geschehene zu finden, mit der sich leben ließe.
    Und jetzt sitzt sie also hier im Peinlichen Verhöramt, wo man die Königin und die Hechtelin stets mit Samthandschuhen angefasst hat, und ihr, nicht ihnen, geht es an den Kragen wie einer gemeinen Verbrecherin.
    Ob es sich nicht so verhalte − fragt eben der Lindheimer −, dass die Inquisitin sich bei ihr, der Bauerin, am Abend der Geburt über Leibreißen beklagt habe?
    So weit ist die Bauerin gesunken, dass sie nun zu dem billigsten und durchschaubarsten aller Rettungsanker greifen muss: Stures, verzweifeltes Leugnen. Nein, sie könne sich nicht erinnern, von der Angeklagten dergleichen gehört zu haben, beim besten Willen nicht, und wenn es sie das Leben kosten sollte. (Gott, an den Wortlaut kann sie sich ja tatsächlich nicht mehr erinnern. Von der Ordinaire hat die Susann wohl gesprochen, doch ob dabei das Wort Leibreißen fiel …)
    Wie es sich denn dann erklären lasse, bohrt der Lindheimer weiter, dass sie, die Bauerin, höchstselbst auf die Bank geklettert sei, um Tee für die Inquisitin aus dem Hängeschrank zu

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