Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
sehr wohl, wie lange sie denn gewusst habe von ihrer Schwangerschaft?
Seit der Ostermesse, sagt die Susann, seit sie Kindbewegungen gespürt hat in sich.
Die Herren tauschen Blicke: Aha! Von wegen sie sei überrascht worden von der Geburt!
Ob sie sich denn jemandem anvertraut habe mit ihrer Schwangerschaft?
Die Susann sieht in ihren Schoß. «Keinem Menschen nicht.»
Und der Siegner denkt: Das war’s dann. Da können die Hechtelin und die Bauerin es zehnmal gewusst haben, wir kriegen sie nicht dran.– So scharf ist er aber ohnehin nicht darauf, jene beiden dranzukriegen, die seiner Ansicht nach sehr wohl insgeheim von der Schwangerschaft wussten. Ganz im Gegenteil. Nur Scherereien hätte er, wenn er der Bauerin oder auch der Hechtelin an den Kragen wollte, denn die sind, anders als die junge Person, die jetzt vor ihm sitzt, Vollbürger mit allen Rechten, oder jedenfalls ihre Ehemänner. Und der Rat ist immer sehr, sehr vorsichtig, wenn es um das Verklagen oder gar Verurteilen von Bürgern geht.
Warum sie denn die Schwangerschaft verborgen- und geheimgehalten habe, fragt der Lindheimer weiter.
Natürlich zielt er nicht darauf ab, dass die Magd jetzt schildert, wie schwer es für sie geworden wäre, hätte sie die Schwangerschaft eingestanden. Der Zweck dieser Frage ist einzig, fürs Protokoll zu bestätigen, dass die durchtriebene Inquisitin geplant vorgegangen ist. Dass sie seit Monaten schon vorhatte, ihr Kind umzubringen. Denn logischerweise (von der Logik pflegte Lindheimer sich stets leiten zu lassen) wäre es nur unter diesen Umständen sinnvoll, eine Schwangerschaft zu verschweigen. Was soll Heimlichkeit erreichen, wenn bei Geburt des Kindes die Schwangerschaft ohnehin offensichtlich werden muss? Es sei denn eben, man plant, das Kind unerkannt um die Ecke zu bringen.
Die Angeklagte tut ihm allerdings den Gefallen nicht, genau dies nun trocken zu Protokoll zu geben.
Die Susann nämlich kommt auf andere Pfade bei der Frage nach dem Warum. Das hat sie ja gequält, darüber hat sie so viel nachgedacht in den letzten Wochen, als sie so viel freie Zeit hatte wie niemals zuvor in ihrem Leben. Welche Kraft war das in ihr, die die Entscheidung getroffen hat, die ihr eingeredet hat, es sei, wenn kein guter, so wenigstens ein gangbarer Weg? Welche Kraft war es in ihr, die gemacht hat, dass sie sich so verrennt und die sie trotz aller Versuchung, trotz allen Zuredens, trotz des dicken Bauches zum Schweigen gebracht hat – sogar, als die Dorette sie untersucht hat, oder beim Metz, als sie jedes Mal dachte, jetzt kommt es ohnehin heraus. Sie war so kurz davor gewesen, es selbst herauszulassen, sie hat geradezu die Erleichterung schon kommen gespürt und die Tränen der Erleichterung, sie endlich los zu sein, diese Last, komme, was wolle.
Der Satan habe sie verblendet, sagt sie den Herren, und ihr quasi das Maul zugehalten. (Sie weiß noch, wie sich das anfühlte, diese Unfähigkeit zu reden.)
Was sie nicht sagt, aber weiß, ist, dass der Teufel einen Ansatzpunkt braucht im Menschen, um Macht über ihn zu gewinnen. Und die Angst, was werden soll aus ihr und dem Kind, die war es bei weitem nicht allein, die dem Satan das Spiel gerade mit ihr so leicht gemacht hat. Sie spürt noch was anderes in sich, das das Verderben ermöglicht hat: ihr Ehrgeiz, ausgerechnet. Sie hat sich ja immer so sehr gewünscht, es auch zu etwas zu bringen, als etablierte, respektable Person eines Tages zu gelten in den Augen der Schwestern, so wie alle andern in der Familie. Oder vielleicht sogar noch besser. Dabei hat sie nicht gesehen, dass sie’s eigentlich gar nicht verdient hätte bei all ihren Fehlern, von damals bei den de Barys angefangen. Merkwürdig, gerade ihre Strebsamkeit hat sie immer für fromm und gut angesehen, für das Beste an sich. So war sie ja erzogen worden von den Eltern, dass man hart arbeiten muss und alles tun, dass man vorwärtskommt im Leben. Was natürlich gut und richtig gewesen wäre, hätte sie sich in wirklich allem dran gehalten. Aber das hat sie eben nicht. Weil sie so unbeherrscht ist, genau wie die Ursel immer sagt. Und bei ihrem letzten, ihrem schwersten Fehler, als sie eines Tages gegen alle Vorsicht im Suff mit einem Fremden ins Bett gegangen war, da ist’s dann aus dem Ruder gelaufen mit der Strebsamkeit. Da hat sie der Satan bei ihrem Ehrgeiz gepackt und sie so getrieben, ihren Fehler zu verschweigen und ihr unschuldiges Kind umzubringen. Auf dass bloß die Dorette nicht enttäuscht wär von
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