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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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holen?
    Du lieber Gott. Nein, sagt die Bauerin, das stimme gar nicht, die Susann habe immer hochklettern und den Tee aus dem Schränkchen holen müssen, und sie könne sich nicht entsinnen, dass es an dem Abend anders gewesen sei. Allerdings funktioniere ihr Gedächtnis im Augenblick nicht zum Besten, da sie sich hundeelend fühle, gerade dass sie es geschafft hat, sich aufs Amt zu schleppen. Die Herren möchten doch bitte Rücksicht darauf nehmen, dass dieses in ihrem Haus geschehene Unglück ihr derart zu Gemüte gegangen sei. Sie habe seitdem keine gesunde Stunde mehr erlebt. Hinzu kommt, berichtet sie, dass ein schweres Kreuz sie getroffen hat, indem ihre beiden Söhne krank darniederliegen, der bei ihr im Haus wohnende gar mit Fleckfieber. (Was die Bauerin doppelt quält, weil sie diese Krankheit vom Christoph als eine ihr geschickte Strafe sieht dafür, dass sie den armen Jungen eine Zeitlang im Verdacht hatte, mit der Schwangerschaft von der Susann was zu tun zu haben. Gestritten hatte sie sich mit ihm, ihn übel bezichtigt gar nach der Verhaftung des Mädchens. Ungerechterweise. Denn inzwischen wusste man ja, die Susann hatte zugegeben, sie hätte am ersten Advent mit einem Holländer gehurt. Mit was für einem Holländer, da musste die Bauerin nicht lange nachdenken. Da kam ja nur einer in Betracht, gelle, der lange, auffällige junge Goldschmied, an den sie sich noch ziemlich gut erinnert.)
    Sie ist also, berichtet sie den Herren, weiß Gott derzeit geplagt genug, bei so viel Krankheit und Unglück im Haus, und ihr ist so schwach im Kopf, dass sie sich nach so langer Zeit beim besten Willen nicht mehr an jede Einzelheit erinnert.
    Die Bauerin fühlt sich etwas besser nach diesem Befreiungsschlag. Die alte Kraft regt sich, und sie pariert die nächsten Angriffe Lindheimers besser, wortreicher, gibt Erklärungen ab, statt einfach nur zu leugnen. Am Ende beteuert sie: Wenn sie nur im Geringsten geahnt hätte, dass die Susann schwanger und der Geburt nahe sei, dann hätte sie selbstverständlich gern Hilfe geschaffen und dem Mädchen eine Stube angewiesen zum Gebären.
    Als sie nun entlassen wird vom Verhör, im Stehen schon, in der Tür, da setzt sie noch nach: «Man würd doch einen Hund oder eine Katze nicht verstoßen in einem solchen Moment, gelle! Geschweige denn einen Menschen. Was denken sich die Herren, ich werd doch nicht ein Mädchen, das mir so treu gedient hat, in seiner Not fortjagen wie eine Barbarin.»
    Es ist gut, dass die Frau Bauerin nun raus darf aus dem Amt. So sehen nämlich die Herren nicht, dass ihr nach diesen Worten Tränen in die Augen steigen. Weil sie natürlich verdammt nochmal doch was zu bereuen hat in der Hinsicht.
    Sie ihrerseits weiß nicht, dass es nach ihrem Abgang zu einem kleinen Eklat kommt im Peinlichen Verhöramt.
    Der Siegner sagt beiläufig: «Wen haben wir noch auf der Liste? Die Seyfriedin wieder, die Schmidtin − meine Herren, bis heut Nachmittag werden wir durch sein. Dann können die Syndiker ran.»
    Worauf der Ratsschreiberassistent Rost, kein gelehrter Jurist, es wagt, die Meinung zu äußern: Man könne doch eigentlich die Untersuchung nicht abschließen, ohne die Herren Doktores Metz und Burggrave zu vernehmen! Die hätten doch die Schwangerschaft erkennen müssen, oder zumindest die Gefahr einer heimlichen Geburt ahnen. Zudem müsse man ja wohl den Verdacht haben, dass die verschriebenen Medikamente in Wahrheit dem Abortus dienen sollten.
    Eisiges Schweigen.
    Der Lindheimer räuspert sich.
    Wieder Schweigen.
    Der Siegner poltert los: «Rost, was denkt Er sich, Er ist wohl nicht ganz richtig im Kopf. Ich zitier doch nicht zwei wohlbeleumundete studierte Herren vors Peinliche Verhöramt wegen nichts!»
    Und der Lindheimer fügt an, er wüsste zu gern, auf welchen Paragraphen Peinliche Halsgerichtsordnung und zugehörige Kommentare sich der Rost denn stütze mit seiner offenbaren Annahme, dass man den Herren Doktores einen Vorwurf machen könne? Er als Jurist jedenfalls könne da keinerlei Ansatzpunkt erkennen.
    Der Rost, der an seinem Posten hängt, ist so klug, gehorsamst klein beizugeben.

14. OKTOBER 1771
    MAN HÖRTE die Musikanten bis hinauf in den Katharinenturm.
    Bei Goethes im Haus Zu den drei Leiern war ein großes Fest im Gange. Und zwar feierte man − oder vielmehr: Wolfgang feierte, und der Vater zahlte − den «Shakespeare-Tag», zu dem Wolfgang anlässlich des heutigen Namenstages aller Wilhelme und Williams dieser Welt geladen hatte. Cornelie

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