Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
nicht viel drauf), und auch der Schreiberassistent Rost. Mit dem hat sie nur kaum je ein Wort gewechselt.
Plötzlich geht es ganz schnell. Der Rost steht auf, Papier in der Hand, und beginnt zu deklamieren.
«In peinlichen Untersuchungssachen gegen Susannen Margarethen Brandin erkennen wir, Bürgermeister und Rat der kaiserlichen freien Reichsstadt Frankfurt am Main, nach geschehener umständlicher Erforschung und Untersuchung, der in der Sache geführten Verteidigung und vorgelegten rechtlichen Syndikatsbedenken sowie nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände Folgendes für Recht:
Dass genannte Brandin wegen des an ihrem eigenen lebendig zur Welt gebrachten Kinds nach eigenem wiederholtem Bekenntnis vorsätzlich und boshafterweise verübten Mords nach Vorschrift der göttlichen und weltlichen Gesetze, ihr zur wohlverdienten Strafe und anderen zum abscheulichen Exempel …»
Das ist der Moment, in dem es der Susann schwarz vor Augen wird. Es gibt ein dumpfes Krachen, als sie fällt, dann spürt sie, wie sie hochgezerrt wird, sie landet halb sitzend, halb liegend auf zwei Stühlen, die man hastig herbeiholt für sie, und als sie halbwegs wieder bei sich ist, da fängt sie an zu weinen, hemmungslos. All ihre Stärke und Gefasstheit vom Oktober und November sind dahin, sie zerfließt einfach, so sehr und sehnsüchtig hatte sie am Ende gehofft, und nun ist so klar, so eindeutig, dass mit dem «abscheulichen Exempel» nichts anderes gemeint sein kann als ein Todesurteil. Sie glaubt es noch nicht, es kann doch nicht wahr sein, Herr Jesus, bitte nicht, bitte bewahr er sie doch davor, dass sie jetzt tatsächlich mit Gewalt zum Tod gebracht wird.
Die Herren vom Amt sahen dem etwas gereizt zu. Das störte ja den Ablauf, nicht wahr, indem nämlich das Urteil jetzt noch gar nicht als ordnungsgemäß verlesen galt. Der Rost war ja noch nicht durch gewesen, als die Angeklagte zusammenklappte, das Wichtigste kam ja noch. Die Untersuchungsbeamten, der neue Jüngere Herr Bürgermeister Reuss nämlich und der Herr Dr. Textor (junior) als Examinator ordinarius, ja sogar ein kleines bisschen auch der altgediente Rost, die sahen mit einer gewissen verächtlichen Befriedigung übrigens die Angeklagte so verzweifelt, denn die hatte ja jede Verzweiflung eigentlich verdient.
Damit alles seine Ordnung hatte, musste der Rost noch einmal von vorn verlesen, während die Angeklagte, zusammengesackt auf ihren beiden Stühlen, durchgehend weinte. Sie schien nicht einmal richtig hinzuhören, als man zum Ende des Urteils kam:
«… ihr zur wohlverdienten Strafe und anderen zum abscheulichen Exempel mit dem Schwert vom Leben zum Tod zu bringen und dieses Urteil allerschnellstens zu vollziehen sei.»
Die Susann kauert auf den gepolsterten Stühlen, die Hand über den Augen. Sie begreift sie jetzt so klar, die Unausweichlichkeit des Todesurteils. Warum hat sie denn nur hingehört, als ihr der Pfarrer Willemer und der Verteidiger und die Frau Weines Hoffnungen gemacht haben? Es war gut gemeint, aber sie hat es doch gewusst, seit ihrem Geständnis schon hat sie gewusst, dass sie keine Chance auf Leben mehr hat, keine rechtliche. Nur noch die Gnade.
Und um Gnade kann sie noch bitten, auch jetzt noch oder gerade jetzt nach dem Urteil, die nackte Angst im Leib vor dem Schwert, das ihr den Hals durchtrennen soll «allerschnellstens», also heute noch womöglich, Herr Jesus, vielleicht noch heute. Und so fleht also die Susann die Herren an unter vielen Tränen und unter Händeringen, dass der hochedle Rat bitte, bitte Gnade für sie finden möchte und ihr das junge Leben schenken.
Ihr Herr Verteidiger registriert das etwas unangenehm berührt. Fast hätt er sich’s denken können, dass auch sie am Ende, wenn’s hart auf hart kommt, um Schonung fleht wie alle anderen Verbrecher. (Warum hatte sie denn dann gestanden und ihm die Arbeit so schwer gemacht?)
Der diesjährige Jüngere Herr Bürgermeister Reuss reißt den Herrn Verteidiger aus den Gedanken mit den Worten: «Der Herr Doktor Schaaf wird sicher noch ein Gnadengesuch für seine Mandantin verfassen wollen, mit ein paar Ausführungen, warum Er eine Begnadigung für angemessen hält?»
Das hat dem Schaaf gerade noch gefehlt. Zumal er für ein Gnadengesuch gerade mal einen Reichstaler zusätzlich bei der Stadt in Rechnung stellen könnte, wenn’s hochkommt.
Er würde zwar ebenfalls wünschen, stammelt er, dass es dem hochedlen Rat möglich sein möchte, die unglückliche Brandin zu
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