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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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begnadigen. Und er schließe sich der Verurteilten darin an, hierum untertänigst und gehorsamst gebeten haben zu wollen. Doch da er in seiner ausführlichen Verteidigungsschrift ja alle, wirklich alle Gründe bereits angeführt habe, die zu einer milderen Strafe führen könnten, und er andere solche Gründe beim besten Willen nicht erkennen könne, sei wohl das Verfassen einer neuen Eingabe kaum sinnvoll. Er sehe sich also, auch eingedenk anderer dringender Pflichten, die seiner harrten, in der traurigen Notwendigkeit, von einer weiteren Verteidigung absehen zu müssen, und es bleibe ihm nichts mehr, als nunmehr der Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen.
    Die Susann hörte auf zu weinen, wie geschlagen von der Rede ihres Anwalts.
    Und der Rost dachte mit säuerlich verzogenem Mund und leicht hochgezogenen Augenbrauen, dass die bestbezahlten Amtspersonen nicht immer die fleißigsten seien. Er müsste das mal wagen, einfach zu sagen, er habe zu einer bestimmten Aufgabe keine Lust. Da würde er nicht mehr lange sich seines kleinen Gehaltes freuen können. Übrigens war ihm bereits aufgefallen, dass die Verteidigungsschrift des Dr.   Schaaf in großer, ausladender Schrift und mit beträchtlichem Zeilenabstand verfasst war, um Seiten zu schinden.
    Als die Verurteilte den Raum verlassen hatte, von einer Kranken-Portechaise abgeholt, da schlug der Rost ungefragt vor, den Pfarrer Willemer schnellstens auf den Katharinenturm zu schicken, um der Brandin Beistand und Trost zu schenken.
    Diesmal erntete er für seinen Vorstoß nur Zustimmung.
    Und weil neben geistlichen Personen auch geistige Getränke hilfreich sein können, schickte man der Gefangenen aus dem Hospital zusätzlich zu dem Herrn Pfarrer auch ein hübsches Quantum Wein.

Vierter Teil
    Condemnata
    Verurteilt

11. JANUAR 1772, 10 UHR
    ES FAND an diesem Samstagmorgen im großen Sitzungssaal im Rathaus zum Römer eine förmliche, aber außerordentliche Ratssitzung statt. Der ganze Rat war versammelt, alle drei Bänke also voll besetzt, Schöffen links an der Wand, Handelsleute ums Eck davon, die Handwerker gegenüber den Schöffen auf der Fensterseite. Die Sitzung war kurzfristig und eilig einberufen, mit Rücksicht auf die Brandin, der Wartezeiten erspart werden sollten.
    Das Begnadigungsgesuch war das Thema.
    Man würde wohl nicht allzu lange frieren müssen in der eisigen, kahlen Halle: So viel gab es da nicht zu diskutieren. Die Gutachten der Syndiker waren nämlich eindeutig gewesen. Zum einen, weil es ein eindeutiger Fall war. Zum andern auch, weil man die Bedenken des Verteidigers nicht allzu ernst genommen hatte. Der Herr Dr.   Schaaf hatte nämlich, auf dass man ihn nicht etwa missverstehe und dadurch der Schatten juristischer Extrempositionen auf seine Karriere falle, eine kleine Vorrede aus zwei, drei etwas verschwurbelten Sätzen vor seine Verteidigungsschrift gesetzt, die der Wirkung des Werkes gar nicht gut getan hatten. Jedenfalls, soweit es die erhoffte Wirkung für die Angeklagte betraf. In der Vorrede hatte er aus Angst vor der eigenen Courage alles getan, um sich von seiner Verteidigung zu distanzieren, indem er nur unwesentlich verklausuliert mitteilte, dass er natürlich sehr wohl wisse, wie problematisch seine Argumente seien (nämlich dort, wo er die Handlungsweise der Brandin als in ihrer Lage mehr als verständlich hinstellte) und dass er selbst nicht an seine eigenen rechtlichen Behauptungen glaube. Er komme quasi lediglich mit juristischen Kunstgriffen formal seiner Pflicht zu einer Verteidigung nach, in einem Fall, in dem Verteidigung eigentlich unmöglich sei. Was die Herren Syndiker in ihrer Haltung beförderte, dass die Auseinandersetzung mit der Verteidigung hier kein ernster Austausch sei, sondern juristisches Trockenfechten in einem Fall, in dem das Todesurteil von vornherein feststand.
    Dass die Angeklagte «in ihren Umständen übrigens bedauerungswürdig» sei, das vermerkten auch die Syndiker, das sahen sie genau wie der Verteidiger. Doch es tat ja nichts zur Sache. Rein rechtlich gesehen.
    Nun also die Frage: Konnte man, sollte man sie begnadigen? Also die Todesstrafe umwandeln in Zwangsarbeit, Landesverweis oder dergleichen?
    Und da meldete sich, für Siegner und für alle mit dem Fall befassten gänzlich unerwartet, ein grün gekleideter mondäner ehemaliger Damenschneider von der Handwerkerbank und sprach sich für Begnadigung aus. Die Stimmung in der Stadt sei gekippt, gab er zu bedenken. Am Anfang, ja, da hätten die Leut

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