Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
Vom Netzwerk:
vorschlagen», sagt er, «dass wir die Brandin mit ihrer schlechten Gesundheit diesmal nicht aufs Amt holen lassen, um ihr die Entscheidung zu verkünden. Vielmehr wäre es sicher schonender, wenn der Herr Ratsschreiber Claudy sich zum Katharinenturm begeben würde und ihr ganz sanft und inoffiziell beibringt, dass aus ihrem Gnadengesuch nichts geworden ist.»
    So. Bitte. Siegner ist sehr zufrieden mit sich. Da hat er nämlich jetzt der Brandin noch was Gutes getan; mehr konnte man ja ohnehin nicht tun, als sie menschenfreundlich zu gestalten, die leidige Sach. Und der Claudy, der Angsthase, der bekam zugleich die gerechte Strafe dafür, dass er gestern bei der Urteilsverkündung schon wieder gekniffen hatte. Unpässlich war er, angeblich, aber wahrscheinlich bloß im Gedärm vor Schiss. Hat das Urteil formuliert, aber kann es hinterher der Angeklagten nicht vortragen!
    Der kluge Vorschlag des letztjährigen Jüngeren Herrn Bürgermeisters wurde gerne angenommen, weil alle, die eben ihren Tod beschlossen hatten, nun sehr gesonnen waren, der Susann Wohltaten zu erweisen. Ja, Siegners Plan wurde noch verbessert, indem man entschied, als Vorhut zunächst den Pfarrer Willemer zum Katharinenturm zu senden. Der sollte die Arme einstimmen, ihre Gedanken schon mal in die Richtung lenken, dass es höchstwahrscheinlich wohl bei dem Urteil bleiben würde, dass also sehr wahrscheinlich in den nächsten Tagen ihr Tod bevorstehe, und sie entsprechend trösten. Dann wäre der Schreck noch weniger groß, wenn der Claudy käme mit seiner Verkündigung.
    «Dass sie uns nicht wieder aus den Latschen kippt», beendete der neue Jüngere Bürgermeister Reuss die Diskussion. So mancher allerdings fand diese frivole Formulierung dem Anlass nicht angemessen.

SAMSTAG, 11. JANUAR, DREI UHR NACHMITTAGS
    ES TAT SICH Verschiedenes im Katharinenturm um die Mittagszeit. Die Susann war aus ihrer Zelle geholt worden, mit der Begründung, man wolle es ihr bequemer machen. Und da sitzt sie nun im besten Stuhl in der guten Stube des Richters Weines, zwischen dessen ganzer Familie und unter Bewachung einer Handvoll Soldaten, die etwas dumm um die Stubentür herumstehen. Die Frau Weines hatte sich neben die Gefangene gesetzt, tätschelte ihr immer mal die Hand und plapperte, ohne irgendetwas zu sagen. Es war gut gemeint.
    «Welchen Tag haben wir?», fragt die Susann irgendwann.
    «Ei, Samstag. Ihr habt mich das gestern früh schon gefragt, Kindchen, als die Soldaten Euch abholen gekommen sind. Da hab ich Euch gesagt: es ist Freitag.
    Von diesem gestrigen Morgen trennt die Susann eine Ewigkeit. Da wusste sie’s noch nicht. Seitdem kriecht die Zeit, weil jede Minute mit diesem Wissen unerträglich ist, und andererseits muss sie bei jedem Viertelstundengeläut denken: wieder eine Viertelstunde vorbei, unwiederbringlich, von denen, die sie noch hat, die sie noch von dem Entsetzlichen trennen.
    Denn die Susann hofft nicht mehr. Sie wusste es in dem Moment, als sie ihren Verteidiger auf dem Amt jeder weiteren Verteidigung entsagen hörte. Da wusste sie’s: Nur ein Wunder noch könnte ihr die Begnadigung erwirken. Und Wunder schenkt der liebe Gott, wenn überhaupt, verdienteren Leuten als einer Sünderin wie ihr.
    Für den Montag rechnet sie mit der Urteilsbestätigung. Rechnet fest damit. Und falls doch noch irgendwo ein winziges Flämmchen mit einer Hoffnung in ihr brennt, so hat sie es gut versteckt, dass sie es nicht spürt in sich. Denn das hat sie jetzt gelernt, viel zu spät: Man soll sich keinen Hoffnungen hingeben, man soll immer mit dem Schlimmsten rechnen, dann ist man wenigstens vorbereitet. Dann ist man vielleicht auch klüger. Hätte sie das nur früher beherzigt, sie wäre gar nicht in die Lage gekommen, in der sie jetzt ist.
    Ach, diese ewigen Wenns! Zu spät, zu spät.
    Schlag zwei kommt schon wieder der Pfarrer Willemer, und die Susann, die überrascht ist von dem für heute nicht angekündigten Besuch, freut sich ein bisschen, als sie unerwartet sein liebes, freundliches Gesicht sieht. Merkwürdig, dass sie dieses Gefühl überhaupt noch haben kann in ihrer Lage.
    Der Pfarrer Willemer, der sich mit seinen rheumatischen Knochen auf ein Fußbänkchen vor sie gesetzt hat, spricht ziemlich viel vom Herrn Jesus. Und zwar von seinem Kreuzestod. Wofür er gestorben sei zum einen. Nämlich für ihre Sünden, dass die ihr dank seiner erlassen werden, wenn sie in den Himmel kommt. Und wie er gestorben ist zum anderen, nämlich hingerichtet, und auf

Weitere Kostenlose Bücher