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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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es so klug gewesen wäre, einfach so mitzukommen, unverheiratet, das war die andere Frage. Beziehungsweise eigentlich keine Frage. Das ging ja nicht. Vielleicht hatte er überhaupt das gemeint, als er sagte: Das gehe doch nicht. Vielleicht wollte er sie nur auf später vertrösten. Es war ein Missverständnis gewesen, und sie, sie hatte sich wirklich dumm ausgedrückt. Ich würde dich heiraten, hätte sie sagen sollen.
    Vielleicht also: Adieu, Susann, bis nächstes Jahr. Oder: Ich hab dich lieb, Susann.
    Zum Beispiel. Irgend so etwas musste es doch sein. Warum hinterlässt er ihr sonst einen Zettel.
    Und deshalb trägt die Susann, seit er fort ist, ein heimliches Glück in sich wie ein Versprechen.

3. AUGUST 1771, 10 UHR
    DAS HAUS Zum Römer und die nach Norden und Westen angrenzenden Gebäude hatte die Stadt gleich nach dem Erwerb zu einem labyrinthischen Ganzen vereinigt. Nicht, damit der Kaiser sich drin wohl fühlte beim Krönungsmahl, nein, an den dachte man erst später. Sondern für die Kaufleute natürlich, damit in den geräumigen neuen Hallen im Untergeschoss zur Messezeit zahllose Kramstände mit der feineren Sorte Messeware − Gold- und Silberschmuck − für die gehobene Kundschaft dekorativ Platz fänden und die übrigen Geschosse als Lager geeignet wären. Kaufleute hatten das Haus Zum Römer ja auch früher schon genutzt. Und sein Name, der zwar ziemlich gut passte für die Stätte des zeremoniellen Krönungsmahls des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der hatte mehr mit den italienischen Händlern zu tun, die hier einst abgestiegen waren, als mit römischen Kaisern welcher Nation auch immer.
    Von Kaufleuten und Kaisern abgesehen, tagten und speisten hier natürlich auch die Frankfurter Stadtväter, als Ratsplenum oder grüppchenweise, je nach Wochentag formiert zu unterschiedlichen Organen der Verwaltung und des Rechtswesens. Eines davon war der Schöffenrat.
    Die Herren Schöffen waren für gewöhnlich die edelstgeborenen unter den ganzen edelgeborenen Ratsherren, da sie nämlich von der obersten der drei Bänke des Rates kamen, der Adels- und Patrizierbank. Sehr streng nahm man es aber mit Herkunft und Stammbaum nicht, wenn Geld, Bildung und Beziehungen stimmten. So gehörte zum Beispiel auch der diesjährige Jüngere Herr Bürgermeister Dr.   Siegner dazu. Und der war ein Bierbrauerssohn.
    Eben gerade stand der Dr.   Siegner einbeinig auf der Treppe zum Sessionszimmer, hielt sich leicht schwankend am Geländer fest und streifte sich den rechten Schnallenschuh ab. Das piekste so, da musste ein Stein drin sein. Es fiel auch einer raus, ganz winzig. Dr.   Siegner ließ sich von einem Ratsdiener den Schuh wieder antun. Er befand sich, seine Ordonnanz Brand sowie den Ratsschreiber Claudy im Gefolge, auf dem Weg in die Sitzung des Schöffenrates, die er selbst außer der Reihe einberufen hatte.
    Mit Criminalia hatten die Schöffen an sich nicht zu tun. Jedenfalls nicht das Schöffengericht, das nur Erbstreitigkeiten und dergleichen Zivilsachen regelte. Aber der Schöffenrat vertrat den ganzen Rat bei eiligen Entscheidungen. Und so eine stand ja an, nicht wahr. Zwar hatte Dr.   Siegner bisher schon das Dringlichste eigenmächtig angeordnet, es war ja verdammt spät gewesen gestern Abend, und heute früh verdammt früh. Jetzt endlich galt es aber, die nötigen Maßnahmen offiziell auf den Dienstweg zu bringen. Wie sähe das hinterher aus im Protokoll, ohne einen Ratsbeschluss.
    Also, Perücke zurechtgerückt und hinein in den wie immer schön kühlen Sitzungssaal!
    Die Herren waren schon da. Die letzten machten es sich gerade auf ihrer erhöhten Bank bequem. Der Vorsitzende, der hochansehnliche neue Stadtschultheiß Moors, Nachfolger des im Frühjahr gestorbenen alten Textor und selber schon nicht mehr der Jüngste, hatte seinen Platz im Eck eingenommen. Etwas bleich um die lange Nase nippte er an einem Bier, blickte den Siegner fast vorwurfsvoll an, als wäre der schuld an der leider nötig gewordenen Sitzung, und eröffnete dieselbe mit dem Hämmerchen.
    Siegner sagte, was alle schon wussten, und bat den Ratsschreiber Claudy um die Verlesung des Protokolls in Sachen der entwichenen hiesigen Gefreitentochter Susanna Margaretha Brandin. Der Claudy an seinem in der Mitte stehenden Protokollantentisch räusperte sich umständlich, blickte unter sich und raschelte mit dem Papier. Obwohl er nicht erst seit gestern Ratsschreiber und mindestens vierzig Jahre alt war, wurde er tatsächlich bei

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