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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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nochmals aufzusuchen und von dem geänderten Termin in Kenntnis zu setzen hatte.

ZWEITER WEIHNACHTSTAG 1770
    DER KLEINE SOHN der Dorette Hechtelin war ein bisschen unleidlich gewesen – eine leichte Kolik vielleicht oder die vielen Menschen, denn im Haus des Schreinermeisters Hechtel war die ganze Sippschaft der Brands versammelt. Nach einer Stunde Gewimmer, Geplärr und Gequengel war jetzt endlich Ruhe. Der Junge war auf dem Schoß seiner Tante Susann friedlich eingeschlummert.
    Die hielt ihn mit beiden Armen umschlungen und sah ihm beim Schlafen zu, wie der Mund einen kleinen Spalt offen stand, wie es manchmal zuckte unter den Augenlidern, wie die kleine Faust in rührender Reglosigkeit in der Luft hing.
    Der Schreiner Hechtel räsonierte derweil mit dem Vetter Elias sowie dem ältesten Brand-Bruder, dem eben erst eingetroffenen Niklaus, über den Brotpreis. «Ei, wie hoch soll es denn noch gehen!», schimpft er gerade wieder, mindestens zum dritten Mal. «Zwo Kreuzer ein Heller, zwo Kreuzer zwo, zwo Kreuzer drei! Ei, da gibt’s ja nach oben gar kein Halten mehr! Das wird noch auf drei Kreuzer hochgehen, glaubt’s mir! Ei, das ist dann ja doppelt so viel wie vor zwei Jahren noch, ein und ein halben Kreuzer war das Pfund Brot im Winter achtundsechzig, ein und ein halben!»
    Zugleich berichtet die Ursel ihren Schwestern von der Frau von Stockum. Was es in deren Haus zu Weihnachten gegeben haben soll. Dass sie im Frühjahr wieder die Kur in Soden nehmen wird. Dass das werte Töchterchen der Frau von Stockum, die Lisette, mit ihrer Freundin, dem Fräulein Goethin, jüngst in Anwesenheit der Ursel auf Französisch über gewisse chapeaus , nämlich Männer, hergezogen habe, wovon sie (die Ursel) bestimmt mehr verstanden habe, als den jungen Damen lieb sein könne.
    Die Susann ist mit den Gedanken woanders. Unwillkürlich vergleicht sie den Mann ihrer Schwester, den Schreinermeister Hechtel, mit ihm , mit dem Holländer. Mit Jan. Der würde in der schönen, satten Feiertagsruhe was zu lachen und zum Freuen finden statt zum Schimpfen. Um nur einen Unterschied zu nennen. Da gäbe es natürlich noch andere. Ach ja! − Mit dem warmen, tief atmenden Kind auf dem Schoß gerät sie ins Träumen, am helllichten Tag.
    Warum auch nicht. Es ist vielleicht nicht nur Träumerei. Es könnt ja sein, dass er wiederkommt im nächsten Jahr, wenn er seine Geschäfte in Petersburg erledigt hat. Vielleicht hat er ihr das sogar geschrieben. Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Da gab es doch diesen Zettel, der in seinem Zimmer lag. Als sie den später in der Küche zum Anzünden nehmen wollte, war ihr mit einem Mal ein Buchstabe ins Auge gefallen: das große S. S wie Susann. Unglücklicherweise brannte der Zettel da schon an einer Ecke, und mehr konnte sie nicht erkennen auf die Schnelle. Sie kann ja lesen, aber so gut nicht. Sie war auf der Quartierschule nämlich nur, bis sie acht war. Das war schon ein Luxus. Zwei geschlagene Gulden pro Jahr hatte es die Eltern gekostet, die tagelöhnerten und so mehr zur Verfügung hatten als nur die paar Almosengulden jährlichen Sold vom Vater (die hätten höchstens fürs Verhungern gereicht). In der Schule hat sie, außer beim Lehrer Unkraut zu jäten, den Katechismus, das Abc buchstabieren und ausreichend fürs Gesangbuch Lesen gelernt. Aber natürlich nur mit Druckbuchstaben. Was die Schreibschrift angeht, da ist sie nicht bewandert, und es schreibt ja auch jeder anders, und in jeder Sprache wieder anders, zum Beispiel ist die französische Schrift ja ganz anders als die deutsche. Nur ein paar wenige Buchstaben, die kennt sie trotzdem. Nämlich, um genau zu sein, das große S und das große B, weil das die Anfangsbuchstaben von ihrem Namen sind.
    Und als sie das S auf dem Zettel sah, da hat sie mit einem Schlag gewusst, dass der Zettel nicht zufällig mitten auf dem leeren Tisch gelegen hatte. Der war für sie bestimmt gewesen.
    Natürlich hatte sie das Papier nicht mehr retten können. Versucht hat sie es schon, sich aber nur Brandblasen an Daumen und Zeigefinger geholt. («Gelt, du bist aber geschickt!», hatte die Christiane gehöhnt.) Und dann war sie glücklich und zugleich todunglücklich gewesen, so als ob ihr Leben daran hing, was er ihr geschrieben hatte und was sie nun niemals mehr erfahren würde.
    Ich kann ohne dich nicht fahren, Susann, komm zum Darmstädter Hof. Nein. Unsinn. Das nun nicht (beruhigte sie sich). Dann hätte er doch vorher Gelegenheit gesucht, mit ihr zu reden. Und ob

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