Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
Vom Netzwerk:
solchen Anlässen immer noch nervös. Ein bisschen ein Weichling war er ohnehin, er guckte immer ganz betreten drein, wenn es im Verhör mal richtig zur Sache ging.
    Also bittschön, nun fang aber einmal an!, dachte Siegner ungeduldig, und in dem Moment näselt der Claudy auch los.
    «Nachdem dem wohlgeborenen Jüngeren Herrn Bürgermeister des hiesigen Tambour Königs Ehefrau gestern Abend nach neun Uhr die Anzeige getan, dass ihre in dem Gasthaus Zum Einhorn allhier bei der Witwe Bauerin als Magd in Diensten stehende Schwester …»
    Und so weiter.
    Dann ging es ruck, zuck, zur Sache. Puncto eins: Die entwichene Verdächtige solle unverzüglich mit Steckbriefen verfolgt und unter Verlesung der Steckbriefe an den gewöhnlichen Orten ausgetrommelt werden, mit der Versicherung, dass derjenige, der mit dienlichen Hinweisen zu ihrer Habhaftwerdung beitrage, fünfzig Reichstaler Belohnung empfangen solle. Einstimmig beschlossen durch den Schöffenrat.
    Puncto zwei: Ihr verstorbenes Kind solle am selben Nachmittag um zwei Uhr von den geschworenen Chirurgis und im Beisein der hochgelehrten Stadtphysicis in dem Spital zum Heiligen Geist seziert werden.
    Einstimmig beschlossen durch den Schöffenrat.

EIN TAG IM FEBRUAR 1771
    AUF DEM HEUTE wieder schneefreien Liebfrauenberg handelt die Susann zwischen Pfützen und Dreck mit zwei Rübenfrauen, während die Frau Bauerin schon hinüber zu den Dippen gegangen ist. Die liegen in großer Zahl rund um den Brunnen (der zwecks Frostschutz zugebaut ist), blaugraues Westerwälder Steinzeug, und sie sind das eigentliche Ziel des Ausflugs. Einen großen Zukauf wird es nämlich fürs Einhorn geben von Westerwälder Dippen, sowohl Kochgeschirr als auch Bierkrüge und vielleicht ein Gurkentopf. Aus gutem Grund: Der Christoph heiratet. Wen wohl? Das Lieschen Körbelin.
    Der Kauf ist nicht etwa für die Aussteuer. Die bringt das Lieschen mit. Nein, all der Aufwand dient nur der in einer Woche, knapp vorm Beginn der Fastenzeit, mit Bergen von Fleisch, Fisch und Kuchen im Einhorn zu begehenden Hochzeit, für die natürlich die Susann sich am meisten abrackern wird.
    Vielleicht hat sie deshalb eine so merkwürdige Laune im Moment, nicht schlecht, nicht gut, einfach merkwürdig.
    Oder es liegt daran, dass sie ihr Blut längst wieder haben müsste. Es ist schon fast wie bei den Barys. Da war ihr auch mal vor lauter Sorge und Ärger die Reinigung versiegt, ganz am Anfang von ihrem Dienst dort war das, und dann war das Blut monatelang ausgeblieben. Hatte sie sich da auch so merkwürdig gefühlt?
    Das wusste sie nicht mehr.

3. AUGUST 1771, ZWEI UHR NACHMITTAGS
    IN DER UNIVERSITÄTSSTADT Straßburg, ebenjener, in der ungekünsteltes Deutschtum und französische Geschmäcklerei, Gotik und Klassizismus, Voltaire und Schöpflin in den Trinkzirkeln müßiggehender, wohlbestallter junger Menschen so unversöhnlich aufeinanderprallten, musste der Lizenziatskandidat Wolfgang Goethe ausnahmsweise einmal fleißig sein. Ein bisschen fleißig jedenfalls. Er übte Thesen disputieren für seinen großen Auftritt am Dienstag.
    Die Prüfung!
    Danach wäre er lizenzierter Jurist und könnte nach Hause fahren, ins liebe, alte Frankfurt. Was glücklicherweise dies lästige Problem mit seiner Freundin Friederike von selbst lösen dürfte.
    Wie naiv war sie eigentlich? Es hätte ihr doch klar sein müssen, dass er nicht auf Brautschau in Straßburg war! Eine Jugendliebe kommt und geht, ein Mensch aber muss von etwas leben, und wenn er dann in Frankfurt als Anwalt sich niederlässt, auf dass er den Vater zufriedenstelle und ein bisschen was verdiene neben seiner Liebhaberei, dem Dichten, und die Voraussetzungen schafft vielleicht für einen Ratsposten irgendwann − dann wird ihm eine Frankfurter Braut aus gutem Kaufmanns- oder Bankierhause natürlich dank Beziehungen und Geld viel besser zupass kommen als ausgerechnet eine naive Pfarrerstochter aus einem Dorf bei Straßburg.
    Friederikes ältere Schwester Olivie war ein bisschen fixer im Kopf, die hatte, schien es, das Verhältnis zwischen ihm und der Kleinen von Anfang an richtig als ein Vorübergehendes eingeschätzt. Aber die kluge Olivie hatte natürlich nicht dieses artige, reizende Stupsnäschen und die dicken, blonden deutschen Zöpfe um den Schwanenhals wie ihr kleines, ihn bewundernd anhimmelndes Schwesterchen. Welches leider nach wie vor so tat, als wäre es völlig ahnungslos, was die unvermeidlich bevorstehende Beendigung ihres Halbverlöbnisses zu dem

Weitere Kostenlose Bücher