Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
leider offensichtlich.
Dabei war ihm vor der Messe noch gar nichts weiter aufgefallen. Er stiert ja auch die Susann nicht die ganze Zeit an, dass er jede kleine Veränderung bemerken müsste. Während der drei Messewochen war er ohnehin sehr beschäftigt, nicht nur im Einhorn , und sie war meistenteils in der Küche. Und als er die Susann einmal überrascht hat mit ihrer Schwester Hechtelin auf dem Hof, wie sie Verdächtiges geredet haben, da hat er natürlich woanders hingesehen und gehofft, er hätte sich verhört.
Jetzt allerdings, nach der Messe, hat er die Susann wieder öfter und länger vor sich, und da springt es ihm ins Auge: wie verwandelt, die Susann. Gar nicht mehr schmal um die Taille. Die Schürze hebt sich so auffällig überm Bauch. Vielmehr, um der Sache einen Namen zu geben: Nu, wie schwanger halt sieht sie aus. Nicht grad hochschwanger vielleicht, aber wo sie doch vorher so dünn war, da lässt es sich kaum übersehen. Was dem Bonum großes Unbehagen bereitet.
Er befürchtet nämlich – er hat da so seine Erfahrungen! –, dass man diese Sache früher oder später ihm anhängen wird. Als Jude und Beinahe-Hausgenosse hat er den Hals sowieso schon halb in der Schlinge. Hinzu kommt, dass er tatsächlich ein bisschen Dreck am Stecken hat. Im Gegensatz wahrscheinlich zu der Frau Bauerin weiß er nämlich, wer der Schwängerer ist. Man muss ja nur so fünf Monate zurückrechnen. Da gab es diesen Adventssonntag, als der fesche holländische Goldschmied im Haus war und die Frau Bauerin zur Taufe, wo die Susann ihn, den Bonum, ganz irregulär für Stunden in der Bierstube angestellt hat − damit sie mit dem Holländer allein sein konnte doch höchstwahrscheinlich. Was er ihr, dumm wie er war, aus Gefälligkeit nicht abgeschlagen hat. Wenn es irgendwann etwa eine amtliche Inquisition geben sollte in der Sache (was Gott verhüten möge), dann wird sich also herausstellen, dass er an jenem Sonntag im Einhorn anwesend war – obwohl er als in Frankfurt fest ansässiger Jude seit Samstagabend die Judengasse nicht hätte verlassen und erst recht nicht gleich das ganze Wochenende im Einhorn hätte verbringen dürfen. Das wird ihn schon so genügend in Schwierigkeiten bringen. Und zum Zweiten lässt es ihn natürlich hinsichtlich der Schwangerschaft von der Susann sehr verdächtig wirken. Selbst im allerbesten Falle wird es noch heißen, er habe sich mitverantwortlich gemacht an ihrer Hurerei, weil er sie ermöglicht und gedeckt hat. Er hätte ja zweifellos der Frau Bauerin die mutmaßliche Unzucht sofort anzeigen müssen.
Vielleicht sollte er das jetzt noch tun?
Vielleicht heißt es dann hinterher wenigstens nicht, er sei der Vater. Ausgerechnet er, der sich seit seinen ersten geschlechtlichen Regungen bis heute tapfer und fromm noch alles, aber wirklich alles verkneift, ob mit Christinnen oder Jüdinnen, mit Männern oder Frauen, und weiter so in alle Ewigkeit, da er nun mal leider einer von denen ist, denen das verfluchte Frankfurter Judenstättigkeitsgesetz zu heiraten nicht erlaubt.
Der Bonum weiß überhaupt nicht, wie er agieren soll in der Sache mit der Susann. Die Vernunft sagt ihm, reden wäre besser. Aber dem Instinkt nach tut er lieber ahnungslos. Stillhalten, sich nur nicht einmischen. Dumm nur, dass er sich dabei fühlt wie ein Häschen in der Grube mit dem schnüffelnden Fuchs gleich daneben.
Die Sache kann ja nicht gut enden. Wie denn. Der Holländer ist über alle Berge. Die Susann wird kaum ein Eheversprechen von ihm bekommen haben. Die hat ja gar keine Aussichten, gar keine.
Apropos Aussichten: Was muss er denn da unten am Inselstrand sehen? Was ist denn das weiße Etwas, das die beiden Fischer fluchend aus ihrem Netz wickeln? Er guckt lieber gar nicht mehr so genau hin. Würde er hinsehen, wüsste er, dass es sich nur um einen sehr toten Schwan handelt. So aber ist sein Verdacht: Die haben eine Säuglingsleiche aus dem Main gefischt. Es wäre nicht die erste.
Die Fischer sehen rechts, sehen links und dann nach oben (wo der Bonum so tut, als fixiere er die Kanonen am Tiergartenbollwerk). Sie stoßen wieder ab von der Insel, lassen sich treiben. Dann kippen sie das Etwas in der stärksten, mittleren Strömung zurück ins Wasser, bevor sie sich in die Ruder legen und auf und davon machen. Wie es wohl – denkt der Bonum – jeder täte, der sich Last und Ärger und eine Vernehmung im Römer ersparen will. Deshalb kommen ja in Frankfurt nur so um die fünf in den Gewässern oder Kloaken
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