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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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höflich den Weg freigab, gestaltete sich jeder Gang des Dr.   Senckenberg zu einem Zickzacklauf, bei dem er sich, Haken schlagend, mal auf dieser und mal auf jener Seite der Straße bewegte, was Böswillige zu vielerlei Lästereien und den nahe liegenden launigen Vergleichen aus dem Tierreich reizte.
    Ihm selbst aber war gerade heute gar nicht launig zumute. Weil, o weh, schon wieder jene so schwere Pflicht anstand, die allerschwerste von allen: Der monatliche Besuch beim in der Hauptwache bekanntlich (allzu bekanntlich!) unter Arrest gehaltenen jüngeren Bruder Erasmus, dem Hundsf−, Pardon, vielmehr: der armen, verlorenen Seele.
    Fest und sehr aufrecht presste er die Hand ums Stöckchen und seinen schwarzen Dreispitz an den Körper (den trug er, weil er ständig grüßen musste, grundsätzlich unterm Arm statt auf dem von der langen grauen Pudelperücke geschmückten Kopf). Zusammenreißen, nicht verzagen! Er war in seinem Leben ja noch jeder Pflicht und Plage gewachsen gewesen. Der hysterischen, herrischen Mutter, den erotischen Anfechtungen des Teufels, der schwierigen zweiten und sogar der vergnügungssüchtigen dritten Ehefrau (gut, er war nach ein paar Monaten wieder bei ihr ausgezogen, aber offiziell im Einvernehmen, und sie hatte danach sowieso nicht mehr lange gelebt). Hatte er nicht auch trotz aller Ängste, und nachdem er sich zehn Jahre lang davor gefürchtet hatte, schließlich doch noch verspätet seinen Doktor geschafft? Also! Was sollte ihn denn nach alledem der verlott−, Pardon, der unglückliche Bruder schrecken in seinem Arrestzimmer, und mochte er ihn noch so sehr beschimpfen, verulken oder verlachen!
    Man sah ja, was letztlich aus Untugend erwuchs. Am Erasmus natürlich am besten, der so obenauf gewesen war und sich schon für unantastbar gehalten hatte, nachdem er, wie zum Dank für seine ruchlosen Verbrechen, erst noch vom Kaiser geadelt worden war und sich nicht entblödet hatte, die sogenannte Auszeichnung tatsächlich anzunehmen. Wie übrigens auch der dritte Bruder, Heinrich, der kaiserlicher Hofrat gewesen war in Wien, sich Baron schimpfen ließ – während selbstredend Dr.   J. Christian Senckenberg diese an ihn ebenfalls herangetragene Ehrung rundheraus abgelehnt hatte. Mit der expliziten Begründung, dass man sich ebenso gut Eselenz wie Exzellenz nennen könne und ein Adelstitel nichts weiter anzeige, als dass man die Gemeinschaft ehrlicher, arbeitender Menschen verlassen und sich mit Gaunern und Lustbuben gemein gemacht habe, was er für sich durchaus vermeiden wolle.
    Und nun war er seit drei Jahren tot, der Baron gewordene Bruder Heinrich, der berühmte, mächtige Reichsfreiherr und Wiener Hofrat. Im Himmelreich, da würde ihm sein Adelstitel wenig nützen. Im Gegenteil. Ebenso wenig wie wahrscheinlich nun noch hier auf Erden dem Erasmus. Der war, kaum fiel die Protektion des brüderlichen Wiener Hofrats durch dessen Ableben weg, schließlich doch noch verhaftet worden zur späten Sühnung zumindest einiger seiner Vergehen.
    Nur er, Christian, war anständig geblieben, und nur er konnte sich noch seines Lebens freuen.
    Nicht nur über die verkommenen Brüder hatte er am Ende triumphiert. Wo waren sie denn, die anderen Feinde von Pflicht und Moral? Wo waren sie, die beiden größten Spitzbuben, der Textor mit seinem überheblichen Grinsen und der fette Lersner mit seinen Schweinsäuglein und all die anderen eitlen, korrupten Gierhälse, die die Interessen der Stadt quasi an den Kaiser verkauft hatten und über die er sich zeit seines Lebens so hatte erregen müssen? Tot, mausetot größtenteils, und zwar war Lersner, der größte Halunke, als erster verre–, Pardon, verstorben, Textor endlich in diesem Frühjahr. Und die verbliebenen der Rats-Bande, Moors, Schlosser und Olenschlager, die würde es auch noch treffen. Deren Macht war auch nicht mehr, was sie mal war.
    Aus diesen beruhigenden Gedanken wurde Dr.   Senckenberg aufgeschreckt, als er die sich nähernde Gestalt des Kollegen Dr.   Gladbach erblickte. Ausgerechnet, nachdem er heute eigens diese Sektion ausgelassen hatte, weil jede Zusammenarbeit mit dem verlotterten Gladbach natürlich unzumutbar für ihn war. Rasch also auf die andere Seite! Um nur nicht grüßen zu müssen!
    Der Dr.   Gladbach hatte nämlich vor einiger Zeit einen unsauberen Bankrott gemacht. Und? Hatte ihn etwa der Rat daraufhin als untragbar von seinem Stadtphysicus-Amt entfernt? Mitnichten! Protestbrief um Protestbrief hatte der Dr.  

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