Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
Vom Netzwerk:
ihr so dankbar gewesen war, weil sie ihn ließ.
    Ihr blondes Haar war zu einem perfekten Pferdeschwanz gebunden, nicht ein Haar war lose.
    Gretchen hatte ein wunderbares Verbrecherbild machen lassen.
    Etwas in dem Laden weckte Archies Aufmerksamkeit. Erneut ihr Bild, vervielfältigt. Er legte die Zeitung weg und ging hinein, vorbei an den leuchtenden Luftballons, den Stofftieren und Genesungskarten, vorbei an der weißhaarigen Frau, die hinter einem von Nippes übersäten Verkaufstisch saß und fernsah, bis er vor dem Zeitschriftenregal stehen blieb.
    Zwanzig verschiedene Zeitschriften waren in Plastikhüllen an der Wand ausgestellt. Fast alle hatten Gretchen als Covergirl.
    Die Presse hatte Gretchen immer geliebt. Sie hatte rund um die Welt Schlagzeilen gemacht. Aber so etwas hatte er noch nie gesehen.
    Nachrichtenmagazine versprachen Geschichten über ihre Verbrechen und das Neueste von der Fahndung. Modezeitschriften versprachen Frauen, ihnen dabei zu helfen, dass ihr Haar so aussah wie Gretchens. Kulturmagazine diskutierten ihren Einfluss. Unterhaltungshefte stellten Überlegungen zu einem möglichen Casting für einen bevorstehenden Film über sie an.
    Das Cover des Portland Monthly brachte das Bild eines Tourbusses mit Gretchens Gesicht darauf. GRETCHEN LOWELL, lautete die Schlagzeile, PORTLANDS NÄCHSTE GROSSE TOURISTENATTRAKTION?
    Aber die Zeitschrift, die Archie ins Auge sprang, war die aktuelle Ausgabe von Newsweek. Es war nicht das Airbrush-Bild von ihr auf dem Cover, das ihm den Magen umdrehte. Es war die riesige Schlagzeile, ein einziges Wort:
    UNSCHULDIG?

_ 15 _
    Der Kriminaltechniker, der Susans Fingerabdrücke nahm, rollte ihren Zeigefinger von links nach rechts über den Schwamm mit schwarzer Tinte. Er hatte mit dem Daumen begonnen und arbeitete sich bis zum kleinen Finger vor. Ausschlussabdrücke nannten sie es. Wenn sie das nächste Mal in ein Haus einbrach, würde sie mit Sicherheit Handschuhe tragen.
    »Das geht hoffentlich wieder ab«, sagte Susan.
    Sie saß im hinteren Teil eines Polizeikombis. Schaulustige säumten bereits das Absperrband, das vor einer halben Stunde erst gezogen worden war. Der Regen hatte aufgehört, aber erst nachdem Susans Haar sich gekräuselt hatte. Polizeifunkgeräte knisterten, Blaulicht blinkte. Alle bewegten sich mit einer gewissen Entschlossenheit. Das Blut an Susans Jeans hatte zu trocknen begonnen und den Stoff an ihren Knien steif werden lassen. Sie bemühte sich, nicht darauf zu achten.
    Der Kriminaltechniker saß neben ihr, sein Fingerabdruckset auf der Ablage zwischen ihnen. Er wandte den Blick nicht von seiner Arbeit, sein kahl werdender Kopf war über ihre Hand gebeugt. »Halten Sie still«, sagte er zu Susan.
    Henry schlug mit dem Kugelschreiber an sein Notizbuch. Er war zehn Minuten zuvor mit grimmiger Miene und hinter einer Sonnenbrille verborgenen Augen aus dem Haus gekommen und quetschte sie seitdem gnadenlos aus.
    »Woher hat der Kerl Ihre Handynummer?«, fragte Henry.
    »Die hat jeder«, erwiderte Susan. »Sie steht in meiner E-Mail-Absenderzeile. Ich bin Reporterin. Ich muss erreichbar sein.« Sie reckte den Hals, um einen Blick auf seine Notizen zu erhaschen. Eigentlich sollte sie diejenige sein, die ihm Fragen stellte. Für eine Reporterin verbrachte sie furchtbar viel Zeit damit, befragt zu werden. »Wie ich höre, haben Sie einen Kopf gefunden«, sagte sie.
    Henry drehte das Notizbuch von ihr weg. »Ich sollte Sie wegen unerlaubten Betretens verhaften«, sagte er. »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht?«
    »Ich habe es eben drauf ankommen lassen«, sagte Susan. Sie sah auf ihre Stiefel, die voller Schlamm waren. Wahrscheinlich hatte sie ihn durch das ganze Haus getragen. »Wer ist der Tote?«, fragte sie.
    Henry rieb sich den Nacken, als würde er schmerzen.
    Susan konnte noch mehr Sirenen in der Ferne hören. Der Techniker ging zum nächsten Finger über. Sie schaute gequält auf ihre purpurne Fingerspitze. »Im Ernst«, sagte sie, »diese Tinte lässt sich abwaschen, oder?«
    »Das Opfer hatte keine Ausweise bei sich«, sagte Henry, und Susan blickte wieder auf. »Der Gerichtsmediziner sagt, es handelt sich um einen Mann Anfang zwanzig. Er war erst seit zwei bis sechs Stunden tot.« Henry beugte sich in ihre Richtung. Es war eine winzige Bewegung, eine geringfügige Veränderung seiner Haltung, kaum wahrnehmbar für einen Beobachter, aber Henry war ein Koloss, und Susan musste sich zusammenreißen, um nicht den Kopf einzuziehen.

Weitere Kostenlose Bücher