Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
Abreise herbei. Denn es fiel ihr immer schwerer, Hoffnung und Unbekümmertheit vorzuspielen, während das schlechte Gefühl in ihrem Bauch zu einem ständigen Begleiter geworden war. Der Einzige, der weiterhin unverdrossen an Ians baldige Rückkehr glaubte, war Jake. Es war Joanna schleierhaft, woher ihr Bruder diese Zuversicht nahm. Auf ihr Nachfragen erhielt sie keine richtige Antwort.
Am Abend des zweiten Tages verkündete Jake, er würde Ronen und Charlotte nach Delaria begleiten, da er dort Geschäfte zu erledigen hätte. Joanna hatte nichts dagegen, denn dann konnte sie endlich die Maske der Sorglosigkeit fallen lassen.
Während Jakes Abwesenheit schlich Joanna oft in Ians leeres Zimmer und starrte aus dem Fenster. Mittlerweile hatte sie richtig Angst um ihn. Sie lächelte gequält. Sollte er ihr jemals wieder unter die Augen treten, war sie nicht sicher, wie sie ihn begrüßen würde. Erst würde er sich ihrer Wut und Verzweiflung stellen müssen, bevor sie ihn küssen würde! Was hielt ihn nur so lange von Greystone fern? War es die öffentliche Schande durch seinen Vater oder ihre gemeinsame Nacht?
Joanna fand keine Antwort.
Kurz vor dem Neujahrsfest kam Jake aus der Stadt zurück. Nun war auch er irritiert, dass Ian noch nicht in die Burg zurückgekehrt war.
„In einer Woche findet die Nachprüfung statt“, tröstete er Joanna. „Bis dahin wird er bestimmt hier sein.“
Sie nickte nur. Ians Abwesenheit hatte sich zu einem andauernden Schmerz in ihrem Herzen entwickelt. Ob er nur im Entferntesten ahnte, wie sehr sie unter seinem Verschwinden litt? Und zum unzähligen Male stellte sie sich die gleiche Frage: Wo war er?
19
Die Sonne versank hinter den Baumwipfeln und sofort wurde es kälter. Obwohl Ian die ganze Zeit in Bewegung war, begann er zu frösteln. Außerdem konnte er seinen leeren Magen nicht länger ignorieren. Wenn er nicht die Nacht hungrig und frierend im Wald verbringen wollte, musste er sich eine Unterkunft suchen. Nach einer Weile sah er Rauch am Himmel und lief in die Richtung, aus der er kam. Bald stieß er auf einen schmalen, aber gepflegten Weg, der zu einem Gehöft führte. Kastanienbäume umgaben das Haupthaus und die Nebengebäude. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als er an die Tür klopfte.
Ein kräftiger Mann mittleren Alters öffnete. „Wer bist du, und was willst du?“
Ian überlegte, einen falschen Namen zu nennen, doch er entschied sich dagegen. Er glaubte nicht, dass sie ihn suchen würden. „Ich bin Ian und würde gerne die Nacht auf Eurem Hof verbringen. Gegen Arbeit, versteht sich.“
Der Mann nickte mit dem Kopf. „Du hast Glück. Normalerweise brauchen wir keine zusätzlichen Arbeitskräfte. Doch zwei unserer Knechte sind wegen des Neujahrsfests zu ihren Familien gereist, sodass viel liegen geblieben ist. Ich heiße Hugh und bin Besitzer des Chestnut-Hofes.“ Er streckte Ian seine Hand entgegen und musterte ihn. „Du siehst mir nicht aus wie ein Tagelöhner.“
„Ich war die letzten Monate bei einem sehr guten Herrn beschäftigt. Außerdem müssen nicht alle Tagelöhner aussehen wie Strauchdiebe.“ Es missfiel Ian, wieder in die Rolle des Wanderarbeiters schlüpfen zu müssen.
„Wohl war“, stimmte Hugh ihm zu. „Es interessiert mich auch nicht, was du gemacht hast, solange du hier hart arbeitest und dich anständig benimmst. Bis zum Abendessen dauert es noch.“ Er deutete auf eines der Nebengebäude. „Dort in der Scheune ist Holz zu hacken. An der Wand hängt eine Laterne. Ich hole dich später.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür.
Ian atmete tief aus, dann ging er zur Scheune hinüber. Besser als im Wald zu schlafen, dachte er grimmig, während er die Axt hob, um den ersten Klotz zu spalten. Als Hugh kam, war er mit dem Holzhacken fast fertig.
„Du bist fleißig, das gefällt mir“, lobte der Bauer. „Komm mit, das Essen steht auf dem Tisch.“
Nur zu gerne folgte Ian ihm in die warme Stube. Beim Abendessen wurde er den anderen Knechten und Mägden vorgestellt. Nachdem das Mahl beendet war, reichte Hugh ihm eine Decke. „Du kannst in der Scheune oben auf dem Heuboden schlafen. Wenn du morgen früh fort bist, gut. Wenn du noch ein paar Tage hier bleiben willst, habe ich nichts dagegen.“
Ian bedankte sich, trottete zurück zur Scheune und breitete die Decke auf dem Heu aus. Ein richtiges Bett wäre ihm lieber gewesen, doch er war müde und schlief schnell ein.
Da er wegen seines knurrenden Magens am
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