Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
nächsten Morgen früh erwachte, beschloss Ian, einige Zeit auf dem Chestnut-Hof zu bleiben. Letztendlich war es egal, wo er sich befand, denn er hatte noch keinen Plan, was er tun wollte. Und er weigerte sich hartnäckig und bis jetzt erfolgreich, über irgendetwas nachzudenken, was seine Zukunft oder seine Vergangenheit betraf. Das Einzige was feststand, war, dass eine Rückkehr nach Greystone ausgeschlossen war.
Hugh freute sich über seine Entscheidung zu bleiben. Es gab viel zu erledigen auf dem Hof: die Wintersaat war auszubringen, die Kühe und Schweine mussten versorgt werden und etliche Reparaturen an Werkzeugen und Gebäuden standen an. Ian stürzte sich in die Arbeit und schaffte es tatsächlich ein paar Tage lang, seine Gedanken zu unterdrücken. Doch dann tauchte ein Problem auf, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hatte: Seine Tätigkeit auf dem Chestnut-Hof langweilte ihn! Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz, als er den Stall ausmistete. In Darkwood hatte ihm die bäuerliche Arbeit Freude bereitet. Natürlich hätte er lieber eine Schule besucht wie Ronen, doch er hatte es immer als etwas Sinnvolles empfunden, mit seinen Händen zu arbeiten und die Wirkung seines Handelns im Verlauf der Jahreszeiten zu erleben. Auch der Umgang mit Tieren, von den Pferden einmal abgesehen, hatte ihm gefallen. Jetzt war er kaum eine Woche hier und merkte, dass ihn diese Aufgaben nicht mehr befriedigten. Es ging ihm alles leicht von der Hand, aber es genügte ihm nicht mehr. Seufzend nahm er einen Besen und fegte die Stallgasse. Über diese neue Entwicklung musste er nachdenken, auch auf die Gefahr hin, dass dabei schmerzliche Erinnerungen aufkamen. Frustriert stieß er den Besen auf den Boden, und ein paar Spatzen, die im Stall nach Körnern gesucht hatten, flogen erschrocken davon.
Ian konnte es nicht länger leugnen – der Aufenthalt in Greystone hatte ihn verändert. Die wenigen Monate dort hatten ausgereicht, das aus ihm zu machen, was sein Vater fünfundzwanzig Jahre lang zu verhindern gewusst hatte: einen Adligen. Er hatte sich schnell daran gewöhnt, in einem weichen Bett zu schlafen ohne Angst, dass ihn nachts jemand angreifen könnte, er hatte sich an gutes Essen und schöne Kleidung gewöhnt, und er hatte sich daran gewöhnt, selbstständig zu denken. Und hier lag das Problem – er wollte nicht mehr tun, was andere ihm sagten, er wollte eigene Entscheidungen treffen! Aber das war mit einem Leben als Tagelöhner oder Knecht nicht zu vereinbaren. Am Morgen, als er Greystone verlassen hatte, war er überzeugt gewesen, sich als Wanderarbeiter durchschlagen zu können. Nun wusste er, er würde damit niemals mehr zufrieden sein. Vor Greystone wäre es eine denkbare Möglichkeit gewesen, jetzt aber fiel ihm die Vorstellung eines solchen Lebens schwer. Wenn er ehrlich war, konnte er es sich überhaupt nicht mehr vorstellen.
Wütend stellte Ian den Besen in die Ecke. Er vermisste es, ein Schwert in den Händen zu halten. Er vermisste es, Laurentin und den anderen Unterricht zu geben. Und er vermisste es, als Adliger behandelt zu werden und bei Bedarf einen Diener zu haben. Trotz seiner schlechten Laune musste er grinsen. Einen Standesdünkel hatte er auch schon entwickelt. Sein bisheriger Plan, ins Heer des Königs einzutreten, war hinfällig geworden. Durch seinen Vater wussten alle von seiner Enterbung, und ohne einen klangvollen Namen war es beinahe unmöglich, einen hohen militärischen Posten zu erhalten. Genauso unmöglich war es geworden, als Fechtlehrer bei einer adligen oder bürgerlichen Familie angestellt zu werden. Schließlich würde er durch sein Weglaufen kein Zeugnis aus Greystone erhalten. Durch sein Fortgehen hatte er nicht einmal die Zwischenprüfung bestanden, wie ihm bewusst wurde. Aber wenn er nicht mehr als Tagelöhner arbeiten wollte und gleichzeitig keine Chance mehr hatte, etwas Anständiges zu finden, was blieb ihm dann noch? Ian rieb sich die Stirn. Da war noch etwas, was ihm Sorgen bereitete. Was um alles in der Welt war das lex patris ? Sein Vater hätte es nicht so betont, wenn es nicht eine schwerwiegende Bedeutung für ihn hätte. Jake hatte scheinbar auch nichts damit anfangen können, er hatte bei den Worten seines Vaters ebenso ratlos ausgesehen wie Ian selbst. Außerdem hatte er den Eindruck gewonnen, dass sein Vater Jake damit gedroht hatte. Waren das nur leere Worte gewesen oder stand dem Earl seinetwegen ein ernsthafter Konflikt mit dem König bevor?
Ian schüttelte
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