Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
sehen uns auf der Treppe.“ Er schloss die Tür hinter sich und ein leichter Pfefferminzduft durchwehte den Raum.
Joanna fand den Geruch nicht unangenehm, im Gegenteil. Er erinnerte sie an einen arbeitsreichen, aber sehr lustigen Nachmittag mit Ian. Kurz darauf stand sie unentschlossen vor ihrem Kleiderschrank. Welches Kleid sollte sie anziehen? Normalerweise machte sie sich bei diesen Geselligkeiten mit den Nachbarn wenig Gedanken, meist ließ sie ihre Kammerzofe etwas aussuchen. Doch heute wollte sie es selbst bestimmen. Wie Ian gesagt hatte, es war sein erster Auftritt in der Öffentlichkeit, und sie wollte etwas dem Anlass Angemessenes tragen. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie ihn beeindrucken. Er hatte sie bis jetzt nur in ihren Alltagskleidern gesehen. Was könnte ihm gefallen? Sie griff zu einem dunkelgrünen Kleid – grün wie die Pfefferminze, die sie heute den Nachmittag über geschnitten hatten. Joanna lächelte. Das passte doch! Allerdings hatte das Kleid einen sehr gewagten Ausschnitt. Doch wenn sie eine auffällige Kette anlegte, würde bestimmt niemand darauf achten. Sie bat ihre Zofe, passenden Schmuck herauszusuchen, während sie ein Bad nahm. Wenig später blickte Joanna zufrieden in den Spiegel. Ihr Haar war zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt und mit Spangen befestigt, die mit weißen Seidenblüten verziert waren. Um ihren Hals trug sie ein Collier mit Smaragden, die aufregend glitzerten. Hoffentlich erfüllte die Kette ihren Zweck und lenkte vom tiefen Dekolleté ab! Sie seufzte. Jetzt war es zu spät, um noch etwas zu ändern. Das Kleid stand ihr hervorragend und der Ausschnitt … Nun ja, dann hatten die Damen wenigstens etwas, worüber sie reden konnten. Sie setzte ein charmantes Lächeln auf und ging zum Nordflügel. Die Türen zum Innenhof waren geöffnet, sodass die Gäste den Festsaal im Obergeschoss über die Freitreppe im Burghof erreichen konnten. Jake stand bereits auf der obersten Stufe und erwartete sie.
Als ihr Bruder sie sah, gingen seine Augenbrauen überrascht nach oben. „Nicht schlecht, Schwesterherz. Darf ich den Anlass für dein dramatisches Kleid erfahren?“
Joanna streckte ihm undamenhaft die Zunge heraus. „Nein, darfst du nicht.“ Er bot ihr seinen Arm, da die ersten Gäste bereits durch das Tor in den Hof schritten. Nach und nach trafen alle Nachbarn ein und begrüßten ihre Gastgeber. Joanna plauderte mit jedem der Ankommenden kurz, sodass sie Ian erst wahrnahm, als er vor ihr stand.
„Ich danke für die Einladung, Lady Joanna.“ Er beugte den Kopf, um ihre Hand zu küssen. „Das ist ein sehr … interessantes Kleid.“
Joanna schoss das Blut in den Kopf. Doch bevor sie etwas Schlagfertiges erwidern konnte, hatte sich Ian Jake zugewandt.
Galad stand nun grinsend an seiner Stelle. „Ich find’s schick!“
Joanna verdrehte die Augen, bevor sie laut verkündete: „Liebe Gäste, liebe Nachbarn, bitte tretet ein, die Speisen sind angerichtet.“
Die Gesellschaft begab sich in den Festsaal, wo an einer Seite Tische aufgestellt worden waren. Nachdem Jake eine Begrüßungsrede gehalten hatte, servierten die Diener den ersten Gang. Joanna saß Ian gegenüber. Er wirkte ruhig und sicher. Niemand würde vermuten, dass dies die erste Gesellschaft seines Lebens war. Ob sie ihn vorsorglich daran erinnern sollte, nicht zu viel zu essen? Allerdings war ihr dies schon länger nicht mehr aufgefallen. Prüfend sah sie ihn an. Er war komplett in schwarz gekleidet und hatte seine Haare geflochten, statt wie sonst nur zusammengebunden. Alles in allem bot er einen eleganten und unauffälligen Anblick.
Ian bemerkte ihre Blicke. „Tut mir leid wegen meiner Bemerkung vorhin. Du siehst ganz anders aus als sonst.“ Hastig erklärte er: „Aber es gefällt mir sehr gut.“ Er lächelte und kleine Grübchen zeigten sich in seinem Gesicht.
Zu ihrem Ärger errötete Joanna schon wieder. Was war mit ihr los? Nervös legte sie ihren Löffel beiseite. Ihr Tischnachbar sprach sie an und verwickelte sie in ein Gespräch über die Akademie und sie ging erleichtert darauf ein. Ian anzuschauen verwirrte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Aber warum? Sie hatte den halben Tag neben ihm gestanden, Kräuter geschnitten und herumgealbert. Da war ihr nichts dergleichen passiert. Es musste an dem hellerleuchteten Festsaal liegen, dass er so anders auf sie wirkte. Vorsichtig spähte sie zu ihm herüber. Er unterhielt sich ebenfalls mit seiner Tischnachbarin, einer alten
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