Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
seine Geschichte zu erzählen. Zu seiner maßlosen Verwunderung nahmen Alexander und Phillip sie arglos hin. Im Gegenzug erfuhr er, dass Philipp aus einer Familie bekannter Pferdezüchter stammte und Alexanders Familiensitz in der Nähe der Stadt Delaria lag. Da beide noch ihre Reisekisten auspacken mussten, verabschiedeten sie sich nach dem Mittagessen. Es beruhigte Ian, die zwei kennengelernt zu haben, und das nicht nur wegen des Festes am Abend.
Joanna saß in der Kutsche und wippte ungeduldig mit ihrem Fuß. In letzter Zeit hatte sie wirklich Pech mit den Kutschen – oder besser gesagt mit den Kutschpferden. Nur wenige Meilen nach Kerlington hatte ihres begonnen zu lahmen. Zum Glück war bald eine andere Kutsche aus der Gegenrichtung vorbeigekommen und man hatte ihnen versprochen, in der Herberge in Kerlington, wo sie übernachtet hatten, Bescheid zu geben. Kurz darauf war ein Ersatzpferd vorbeigebracht worden, trotzdem hatten sie viel Zeit verloren. Zeit, die ihr fehlte, um den Eröffnungstanz mit Ian tanzen zu können. Nach ihrer Schätzung würde sie zwar pünktlich zum Beginn des Festes in Greystone eintreffen, doch es war unmöglich, in einem staubigen Reisekleid im Festsaal zu erscheinen. Sie benötigte mindestens eine halbe Stunde zum Umziehen und Frisieren und verpasste dadurch genau den Debüttanz der Studenten. Joanna verzog das Gesicht. Sie hatte so lange wie möglich bei Tante Sophie bleiben wollen, schließlich hatte sich diese aufopferungsvoll um sie gekümmert, nachdem ihre Eltern verstorben waren. Außerdem hatte sich Sophie trotz ihrer Krankheit bemüht, Joanna den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und mehrere Bankette arrangiert. Unter den Gästen waren einige Lords gewesen, die ihr gefallen hatten. Beim Tanzen mit ihnen hatten sich jeweils nette Gespräche ergeben, doch sobald die Herren Näheres über sie erfuhren, klang ihr Interesse rasch ab. Sie sagten es nicht offen, aber Joanna wusste, dass sie nicht dem klassischen Ideal einer Heiratskandidatin entsprach und dadurch die Männer abschreckte. Nur einem Marquess war ihr Lebenswandel egal gewesen. „Ich bin der Erstgeborene und es wird erwartet, dass ich den Familiensitz weiterführe. Von meiner Frau verlange ich zwei Söhne. Sie hat bei offiziellen Anlässen neben mir zu stehen und mich ansonsten in Ruhe zu lassen. Im Gegenzug werde ich sie außer zum Zeugungsakt im Schlafzimmer nicht belästigen, ich habe erfahrene Damen für mein Vergnügen. Meiner Ehefrau wird es an nichts fehlen und sie kann ihren Tag gestalten wie es ihr beliebt, vorausgesetzt es bleibt innerhalb des gesellschaftlich Vertretbaren.“
Bei der Erinnerung daran zuckte Joanna zusammen. War solch ein Handel das Einzige, was ihr blieb? Sie sehnte sich nach Greystone zurück. Jake, Galad und Ian mochten sie so, wie sie war. Ian … Die Geschehnisse bei der Abendgesellschaft hatten sie tagelang beschäftigt. Das heißt, geschehen war ja gar nichts. Nur ihre Gefühle hatten verrückt gespielt. Je länger sie über ihr damaliges Verhalten nachdachte, desto unsinniger und unerklärbarer kam es ihr vor. Und Ians fragender Gesichtsausdruck? Sie schüttelte den Kopf. Der Glanz der vielen Lichter im Festsaal hatte ihren Augen einen Streich gespielt und sie Dinge sehen lassen, die nicht da waren. Die Freude über seine gute Entwicklung hatte sie einfach völlig überwältigt. Wie sicher er an diesem Abend gewirkt hatte! Selbstverständlich auch, weil sie ihn begleitet hatte. Und jetzt ließ sie ihn beim Eröffnungstanz im Stich. Wütend trat sie gegen die Sitzbank. Freilich fuhr die Kutsche davon auch nicht schneller.
Ian hörte, wie der Debüttanz angekündigt wurde. Er atmete tief durch und betrat mit seiner Tanzpartnerin und den anderen jungen Frauen und Männern den Festsaal. In seinen Gedanken war er hier immer mit Joanna eingetreten, doch sie war bis jetzt nicht eingetroffen. Hoffentlich war ihr auf dem Rückweg nichts zugestoßen!
Die Musik begann und hinderte Ian daran, sich weitere Sorgen zu machen. Zusammen mit den anderen Studenten bewegte er sich in verschiedenen Formationen über die Tanzfläche, kritisch beäugt von Familienangehörigen und anderen adligen Gästen. Nach Beendigung des Tanzes hielt Jake eine Ansprache, die Studenten gingen zu ihren Familien und die Diener boten Getränke an. Alle standen in Grüppchen zusammen und unterhielten sich angeregt. Alle außer ihm. Ian hielt nach Alexander und Phillip Ausschau, entdeckte seine
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