Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
können. Stück für Stück arbeiteten sie sich nach unten, und immer öfter reichte Ian Jake seine Hand, um ihn festzuhalten oder zu stützen. Ein paar Mal musste er ihn sogar von einem Ast herunterheben, da die Kräfte des Earls stetig schwanden. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie endlich den Boden. Schweißgebadet stützte Ian sich an den Baum und atmete schwer. Doch er konnte sich nicht ausruhen, sie mussten sich schleunigst vom Lager entfernen. Er betrachtete Jake, der ebenfalls am Baumstamm lehnte. Ian seufzte. So wie der Earl aussah, blieb ihm keine Wahl. „Jake, ich trage dich.“ Dass Jake ihm nicht widersprach, zeigte Ian mehr als alles andere, wie es um den Zustand des Earls bestellt war. Er ging in die Hocke und Jake zog sich schwerfällig auf seinen Rücken. Ian schob seine Unterarme unter dessen Beine und lief los in Richtung der Straße.
Als die Straße in Sichtweite war, erlaubte sich Ian eine Pause. Er ließ Jake, der wieder ohnmächtig geworden war, von seinem Rücken gleiten und legte ihn auf die Erde. Dann sank er keuchend auf die Knie. Die Nachtluft kühlte seinen erhitzten Körper und sein Atem wurde ruhiger. Müdigkeit überkam ihn und seine Augen fielen zu. Ian schreckte auf. Bliebe er hier, würde er unweigerlich einschlafen. Stöhnend krabbelte er zu Jake und zog ihn erneut auf seinen Rücken. In diesem Moment vernahm er Kampflärm – die Wachen hatten das Erdversteck der Entführer gefunden. Gerne hätte er die Soldaten gerufen, doch falls einer der Entführer hatte fliehen können, wollte er ihn nicht auf sich aufmerksam machen. In seinem Zustand konnte er nicht mehr kämpfen. Ian setzte seinen Weg durchs Unterholz neben der Straße fort. Er musste Jake sicher zu Joanna zurückbringen – das war das Wichtigste. Auf einmal hörte er, wie sein Name gerufen wurde. Er trat auf die Straße und sah, wie in einiger Entfernung von ihm mehrere Soldaten ebenfalls aus dem Wald herauskamen. Er stolperte auf sie zu. Die Männer rannten ihm entgegen und nahmen ihm den Earl von den Schultern ab. Sie jubelten – die Befreiung des Earls war gelungen! Aber ihm fehlte die Kraft, sich mit ihnen zu freuen.
Die Morgendämmerung hatte bereits begonnen, als Ian hinter den Soldaten die Burg erreichte. Er betrat den Treppenturm, um zu Joanna ins Krankenzimmer hinaufzusteigen. Doch er musste sich am Geländer nach oben ziehen, damit er überhaupt vorwärts kam, denn er spürte seine Füße nicht mehr. Nach ein paar Stufen hielt er inne und presste seine Stirn gegen die kalten Steine der Mauer. Nur noch wenige Schritte, dann wäre er bei ihr! Er wollte weitergehen, aber seine Beine verweigerten ihm den Dienst.
Ian wurde schwarz vor Augen.
Am Nachmittag erwachte Ian im Krankenzimmer. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte und er fühlte sich kraftlos und zerschlagen. Am anderen Ende des Raumes hörte er Stimmen. Er drehte den Kopf und sah, dass dort Jake in einem Bett lag. Joanna saß neben ihrem Bruder und hielt seine Hand, Galads Finger ruhten auf der Schulter des Earls. Eifersucht durchfuhr Ian und er schloss die Augen wieder. Was hatte er erwartet? Dass Joanna und Galad an seinem Bett saßen? Außerdem hatte er bis eben geschlafen, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Doch das bittere Gefühl blieb.
Galad hatte seinen Bericht über die Rettung beendet und es war nun Jake, der sprach. „Wir müssen den König über diesen Vorfall in Kenntnis setzen. Ich werde ihm sofort einen Brief schreiben.“ Er richtete sich auf.
„Nein“, sagte Joanna. „Dafür bist du noch viel zu schwach. Du bleibst die Nacht im Krankenzimmer.“
„Du weißt genau, seit dem Tod unserer Eltern ertrage ich keine Krankenzimmer mehr. Ich werde die Nacht in meinem eigenen Bett verbringen.“
„Joanna“, sagte Galad, „ich passe auf ihn auf und übernachte auf einem der Sessel in seinem Zimmer. Bei der kleinsten Veränderung seines Zustands rufe ich dich.“ Da ihr Gesichtsausdruck deutlich zeigte, dass sie nicht überzeugt war, sprach er schnell weiter: „Außerdem hast du noch einen Patienten, um den du dich kümmern musst.“
Joannas Blick wanderte schuldbewusst zu Ian. Vor lauter Freude über das Erwachen ihres Bruders hatte sie ihn vergessen. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass Galad Ian nur als Vorwand benutzte, um Jake aus dem Krankenzimmer zu bekommen. Sie seufzte. Letztendlich war es egal, ob er hier schlief oder einen Gang weiter. „Meinetwegen, er darf gehen. Aber du“, sie sah
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