Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
mehrstündiger Marsch von Chesmuir nach Greystone machte sich immer deutlicher bemerkbar. Endlich kam der umgestürzte Baumstamm in Sicht. Ian verlangsamte seine Schritte und starrte in die Dunkelheit. Im Schein der Laterne hielt ein Entführer Wache. Doch der Mann schien gegen den Schlaf zu kämpfen, denn sein Kopf schaukelte verdächtig hin und her. Wo waren die beiden anderen? Der Bärtige schlief vermutlich, aber wo steckte der dritte?
Ian legte sich auf den Boden und kroch näher an das Lager heran. Tatsächlich, in der Erdhöhle lagen zwei Männer. Sie mussten sich sehr sicher fühlen, doch es konnte ihm nur recht sein. Langsam robbte er weiter zu der Eiche, auf der Jake gefangen war. Hinter dem Baum richtete er sich auf und spähte zum Lager, wo weiterhin alles ruhig war. Ian umfasste den Stamm und kletterte hinauf. Oben angekommen balancierte er auf einem Aststumpf, der sich schräg unterhalb des Astes befand, auf dem Jake saß. Er rief ihn leise, doch der Earl rührte sich nicht. „Jake!“ Es kam keine Reaktion. Fluchend stieg Ian zu ihm auf den Ast. Jakes Oberkörper war mit Seilen am Stamm festgebunden. Sein Kopf hing nach unten auf seine Brust, die Hände lagen gefesselt in seinem Schoß und die Beine baumelten links und rechts neben dem Ast herunter. Ian setzte sich vor ihn und schüttelte ihn sachte am Arm, aber der Earl regte sich immer noch nicht. Verzweifelt flüsterte Ian weiter auf ihn ein – Jake musste zu sich kommen! Das Ganze dauerte schon viel zu lange. Endlich öffnete Jake die Augen und blinzelte. Rasch zog Ian ihm den Knebel aus dem Mund.
„Ian?“ Jakes Stimme klang rau.
„Wir müssen so schnell wie möglich runter von diesem Baum. Kannst du klettern?“
Glücklicherweise erfasste Jake die Lage sofort. „Ich habe kaum Gefühl in meinen Armen und Beinen, aber es müsste klappen.“
„Gut, dann mache ich dich jetzt los. Denn hier oben sind wir eine erstklassige Zielscheibe für die Entführer.“ Jake nickte und Ian kletterte zurück auf den Aststumpf und begann, die Fesseln mit seinem Messer aufzuschneiden. Er hatte die Stricke fast durchtrennt, als aus dem Lager ein Geräusch drang: Der Wachposten war aufgestanden. Ian presste sich an den Stamm und Jake ließ geistesgegenwärtig seinen Kopf wieder sinken. Der Mann entdeckte scheinbar nichts Verdächtiges und setzte sich wieder. Erleichtert atmete Ian auf – und ein Stück des durchgeschnittenen Seiles fiel aus seiner Hand. Raschelnd landete es im Herbstlaub. Der Wachposten erhob sich erneut und ging auf die Eiche zu. „Verdammt“, murmelte Ian und stieg auf einen tieferen Ast. Als der Entführer am Baum ankam, sprang er auf ihn herab. Der Mann hatte keine Gelegenheit zu reagieren, Ians Faust traf ihn mitten ins Gesicht. Er stöhnte und blieb liegen. Kampfbereit sah Ian zum Lager. Doch es blieb alles still, die beiden anderen hatten nichts mitbekommen. Eilig kletterte er wieder zum Aststumpf hinauf.
„Das war knapp!“, krächzte Jake, der sich inzwischen von den restlichen Fesseln befreit hatte.
Ian drehte sich zur Seite und griff nach Jakes Oberarm, während der Earl sein rechtes Bein über den Ast zog und sich dann zu ihm herunter rutschen ließ. Wackelig kam Jake neben ihm auf dem Aststumpf zum Stehen und hielt sich am Stamm fest.
„Geht es?“, wollte Ian wissen.
„Ich war schon eleganter“, knurrte Jake. „Und schneller auch.“
„Wir schaffen das.“ Er stieg auf einen tieferen Ast und Jake folgte ihm umständlich. „Der Abstand zum nächsten Ast ist sehr groß“, sagte Ian. „Ich gehe zuerst, und du kannst über meinen Rücken herunterklettern.“ Kaum stand er auf dem unteren Ast, glitt Jake auf ihn herab und schlang die Arme um seinen Hals. Ian unterdrückte ein Würgen. Jake hing mit seinem ganzen Körpergewicht an ihm, während er mit den Füßen nach dem Ast tastete. Er biss die Zähne zusammen, denn es hatte keinen Sinn, Jake zur Eile anzutreiben – ein falscher Schritt, und er würde abstürzen. Endlich hatte Jake einen sicheren Stand gefunden und ließ ihn los. Ian atmete auf. „Weiter.“ Die folgenden Äste wuchsen dicht beisammen, sodass das Hinabsteigen einfach war. Trotzdem wurde Jake immer langsamer. Ian runzelte die Stirn. Er hatte angenommen, Jake würde mit der Zeit schneller werden, doch das Gegenteil war der Fall. Der Earl kam nur noch mühsam vorwärts. Hoffentlich verlor er nicht während des Kletterns das Bewusstsein! Ian trat näher an ihn heran, um ihn im Notfall packen zu
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