Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
meines Vaters war, den er morgen wieder beenden würde. Sie fürchteten sich vor einer Strafe, falls sie mir etwas antun würden. Als ich in der zweiten Nacht immer noch da war, begannen sie mich zu verhöhnen. In der dritten Nacht beschlossen sie, herauszufinden, wie ernst es meinem Vater wirklich war. Sie verprügelten mich dermaßen, dass ich am nächsten Tag nicht aufstehen konnte. Den Knechten fiel am Morgen auf, dass ich nicht zur Arbeitseinteilung erschienen war und sie benachrichtigten meinen Vater. Er befahl daraufhin, mich zu suchen und auf den Hof zu bringen. Dort verkündete er, dass für mich die gleichen Regeln galten wie für alle Tagelöhner: Wer nicht arbeitet, bekommt kein Essen. Dass ich übel zugerichtet vor ihm auf dem Boden lag, interessierte ihn nicht. Damit war klar, ich stand nicht unter seinem Schutz.
Ich weiß nicht mehr, wie ich es geschafft habe, am nächsten Tag wieder auf dem Feld zu stehen, ich hatte furchtbaren Hunger. In den folgenden Nächten ließen die Tagelöhner immer wieder ihre schlechte Laune an mir aus, bis ich beschloss, mich zu wehren. Am Anfang war ich nicht besonders erfolgreich, die Narben an meinem Körper sind dir sicherlich aufgefallen. Mit der Zeit wurde ich zwar besser, aber körperlich immer schwächer. Der Mangel an Essen und Schlaf machte sich bemerkbar. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich noch durchgehalten hätte, wenn ihr mich nicht mitgenommen hättet.“ Er drehte sich zu ihr um. „Weißt du, warum ich Darkwood trotzdem nie verlassen habe? Weil ich immer die Hoffnung hatte, mein Vater könnte seine Meinung über mich noch ändern. Ich bin ein Narr.“
Joanna ließ seinen Arm los und nahm seine Hand. „Nein, das bist du nicht. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich mir wünsche, morgens aufzuwachen und festzustellen, dass ich wieder einundzwanzig bin und meine zweite Saison am Königshof verbringe, und dass der Tod meiner Eltern nur ein böser Traum war.“
„Und statt im königlichen Festsaal zu tanzen sitzt du hier und hörst dir meine erbärmliche Lebensgeschichte an.“
„Es war nicht alles schlimm, oder?“
„Nein, ich hatte auch schöne Jahre“, gab er zu. „Meine Pflegefamilie und das Leben im Dorf mochte ich sehr.“
„Das dachte ich mir. Sonst wärst du nicht so, wie du bist.“
Er hob die Augenbrauen. „Wie bin ich denn?“
„Sehr stark und sehr mutig. Und ich finde, es ist absolut verständlich, dass du dir die Anerkennung deines Vaters wünschst.“
Ian lachte. „Bin ich froh über dein wohlwollendes Urteil! Bevor du deine Meinung änderst, verlasse ich dich und hole dich morgen wieder ab. Dann wird aber trainiert.“ Er war schon halb aus dem Fenster geklettert, als er sich noch einmal zu ihr umdrehte. „Danke, dass du mir zugehört hast. Ich habe das noch niemandem erzählt.“ Er zögerte. „Was ich zu Beginn gesagt habe, es sei auf Greystone genauso wie in Darkwood – das war nicht ganz richtig. Es gibt einen Unterschied: Du bist hier.“
Lange nachdem er gegangen war, stand Joanna noch am Fenster und dachte über seine Worte nach.
Am nächsten Morgen fand Joanna auf ihrem Frühstückstablett einen Brief. Neugierig öffnete sie ihn und sah, dass er von Jake war.
Joanna, ich habe die Burg heute früh in einer dringenden Angelegenheit für ein paar Tage verlassen. Am Sonntag komme ich zurück. Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Jake
Sie seufzte, denn sie hätte gerne so schnell wie möglich mit ihrem Bruder über die Einladung von Ronen und Charlotte gesprochen. Aber wie es aussah, würde das Gespräch mit ihm noch eine Weile warten müssen. Sie legte die Nachricht beiseite, trank einen Schluck Wein und wappnete sich innerlich für den Tag mit Lady Tamara.
„Wohin ist Jake gegangen?“, fragte Ian, während Joanna den Schlüssel im Türschloss des Kräuterhauses umdrehte.
„Das hat er nicht geschrieben. Allerdings erwähnte er vor kurzem, dass der König einen Feldzug plant. Jake ist sein Lehnsmann. Vielleicht muss er zum Königshof, um darüber zu sprechen, in welcher Form er ihm Unterstützung leisten soll und kann.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Er wird es mir sagen, wenn er wieder da ist.“ Prüfend schaute sie ihn an. „Ist bei dir wieder alles in Ordnung?“
„Ja. Tut mir leid, dass immer du meine Wutausbrüche abbekommst.“
Sie schmunzelte. „Wenn es dir danach besser geht, stelle ich mich bei Bedarf weiterhin gerne zu deiner Verfügung.“
„Ein gutes
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