Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
nieder.
„Lass uns jetzt den Text von Montfort lesen.“ Joanna zeigte auf das Buch, das auf ihrem Schoß lag. „Ein Geburtstagsgeschenk von Galad“, erklärte sie lächelnd und schlug es auf. „Ein philosophischer Sammelband.“
Er bemühte sich um ein Lächeln, auch wenn ihm nicht danach war. Die Angst, dass Jake mit der Einschätzung über seine Fähigkeiten vielleicht doch richtig lag, saß tief.
Joanna rückte mit ihrem Sessel näher zu ihm und nahm seine Hand. „Ich weiß, es ist nicht leicht. Aber ab morgen trainieren wir wieder regelmäßig zusammen – sowohl den Kampf mit Entführern als auch den mit Philosophen.“
Ian nickte. Durch seine Schwierigkeiten im Unterricht musste er sich im wahrsten Sinne des Wortes durchkämpfen. Doch wenn er eines konnte, dann das. Außerdem hatte er Joanna an seiner Seite. Und wenn sie so wie jetzt Schulter an Schulter nebeneinander saßen, um gemeinsam aus dem Buch zu lesen, dann konnte er sogar den Philosophen etwas Gutes abgewinnen.
15
In den nächsten drei Wochen gestaltete sich das Leben für Joanna in gewisser Hinsicht sehr einfach. Tagsüber folgte sie Lady Tamaras Anweisungen und abends erklärte Ian ihr, wie sie sich zu verhalten hatte. Auch wenn ihre beiden Lehrer nicht unterschiedlicher hätten sein können, so hatten sie doch eines gemeinsam: den gnadenlosen Ehrgeiz, ihr in kürzester Zeit so viel wie möglich beizubringen. Joanna konnte sich an keinen Abschnitt in ihrem Leben erinnern, der körperlich auch nur annähernd so anstrengend für sie gewesen war wie dieser. Das Korsett war zu Lady Tamaras Stolz in der engsten Schnürung angekommen und auch Ian forderte immer mehr von ihr. Wenn er sie abends zurück in ihr Zimmer gebracht hatte, schaffte sie es jedes Mal gerade noch, ihr Kleid auszuziehen und in den Schrank zu räumen, bevor sie todmüde ins Bett fiel und sofort einschlief.
An diesem Abend musste das Training mit Ian jedoch ausfallen, da Joanna bei einem Konzert der Studentinnen auftreten sollte. Lady Tamara sah dies als Herausforderung, sie noch aufwändiger anzuziehen als sonst. Sie selbst fand ihre Garderobe zwar übertrieben, hoffte aber, diese würde das Publikum mehr zum Zuschauen als zum Zuhören anregen. Denn von ihrem Lautenspiel war sie nicht besonders überzeugt. Aber wenigstens hatte sie es verhindern können, dass sie würde singen müssen.
Nach dem Abendessen fand sich Joanna neben den Studentinnen sitzend im Festsaal wieder. Sie war nervös und musste ständig aufpassen, dass sie nicht an ihrer Unterlippe kaute. Hoffentlich blamierte sie sich nicht zu sehr. Zum Glück war Ian nicht da, denn das wäre … Bevor sie den Gedanken zu Ende bringen konnte, sah sie ihn geradewegs durch die Tür kommen. Sein Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten, er war frisch rasiert und trug seine dunkle Kleidung, die er immer zu festlichen Anlässen anzog. Es war kein Vergleich zu dem wie sie ihn sonst abends kannte, und sie starrte ihn begeistert an. Warum nur war er gekommen? Natürlich wegen ihr! Aber das war leichtsinnig. Er wusste doch, Jake und Lady Tamara waren auch da. Wenn ihr Bruder Verdacht schöpfte, dass sie und Ian immer noch Umgang miteinander hatten ... Der Beginn des Konzerts erlöste Joanna von weiteren unheilvollen Überlegungen, da sie sich nun auf ihre Noten und ihre Solopassagen konzentrieren musste.
Nachdem das Konzert beendet war, gab es einen kleinen Empfang, und die Diener reichten Wein und süßes Brot. Ihr Bruder hatte sich zu ihr gestellt und freute sich über die vielen Gäste, die zu ihnen kamen, um ihr musikalisches Können zu loben. Sein Lächeln kühlte ab, als Ian zu ihnen trat.
Ian nickte Jake zu, dann sprach er sie an: „Du hast sehr schön gespielt. Es hat mir gut gefallen.“
Bevor sie sich bedanken konnte, erwiderte Jake mit kühler Stimme: „Es zahlt sich aus, dass Joanna Zeit zum Üben hat und nicht mehr von anderen Dingen abgelenkt wird.“
„Richtig, üben ist wichtig“, entgegnete Ian. „Am besten täglich.“ Dabei zwinkerte er ihr zu.
Joanna bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. Was sollte das? Jake stand genau vor ihnen. Doch glücklicherweise schien er Ians Worten keine tiefere Bedeutung beizumessen.
Mit einer leichten Verbeugung verabschiedete sich Ian von ihnen. Er ging an ihr vorbei, so nah, dass er ihren Arm streifte. Sie hielt den Atem an. Auffälliger ging es wohl kaum! Schnell sah sie zu Jake. Doch auch diesmal hatte er augenscheinlich nichts bemerkt. Ian
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