Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
Wachsoldaten. Verdammt, Jake hatte an alles gedacht. Damit wanderten ihre Gedanken wieder zu ihrem Bruder. Warum war er überhaupt schon da? Er hatte doch morgen erst wiederkommen wollen. Sie schnaubte. Jake hatte sich Ian gegenüber unverzeihlich benommen. Und wenn sie es sich richtig überlegte, war das nicht das erste Mal, dass er ihn derart ungerecht behandelte. Besonders auffällig war es, seit Galad fortgegangen war. Aber sein unmögliches Benehmen konnte ihr Bruder doch nicht alleine mit der Mehrarbeit entschuldigen.
Joanna ließ sich auf ihr Bett fallen. Wenn sie ehrlich war, war eigentlich sie schuld an diesem Debakel heute Abend. Schließlich hatte sie Ian überredet, ihr Unterricht zu geben. Und sie war es gewesen, die vergessen hatte, die Tür zuzuschließen. Aber Jake hätte nicht so ausrasten und wie der Rachegott persönlich auftreten müssen! Sie schnappte sich ein Kissen und schleuderte es vor Wut, Enttäuschung und Besorgnis quer durch ihr Zimmer. Sie hatte wirklich ein Problem mit Männern: Der eine benahm sich wie ein Berserker, der andere nahm jede Gelegenheit wahr, sich verletzen zu lassen und der Einzige, mit dem man vernünftig hätte reden können, glänzte durch Abwesenheit!
Beim Klopfen an ihrer Tür war Joanna sofort hellwach. Die halbe Nacht hatte sie damit zugebracht, sich die Worte zurechtzulegen, die Jake gleich zu hören bekommen würde. Sie sprang aus dem Bett und straffte die Schultern. „Herein.“
Zu ihrer Verwunderung war es nicht ihr Bruder, sondern Lady Tamara, die das Zimmer betrat. „Guten Morgen, Lady Joanna. Ich bin gekommen, um Euch beim Ankleiden zu helfen, für das Frühstück mit dem Duke of White Sands. Euer Bruder erwartet Euch in einer Stunde.“
Joanna meinte, sich verhört zu haben. „Er kann doch nicht ernsthaft glauben, dass ich ihn zu diesem Frühstück begleite? Nach allem, was gestern Abend vorgefallen ist? Ich werde sicher nicht kommen.“
„Das wäre ein Fehler.“
Sie zog die Augenbrauen hoch. „Wie bitte?“
Die Heiratsvermittlerin legte die Fingerspitzen aneinander und räusperte sich, bevor sie zu einer Erklärung ansetzte: „Ich bin über die Vorfälle im Kräuterhaus weitestgehend informiert – aus verschiedenen Quellen. Das vorweg.“
Joanna unterbrach sie. „Spart Euch Eure Worte, Ihr steht doch sowieso auf der Seite meines Bruders. Ian war Euch von Anfang an ein Dorn im Auge. Über das Geschehen müsst Ihr doch frohlocken.“
„Mein liebes Kind, ich stehe alleine auf der Seite von Anstand und Etikette. Und wen ich leiden kann oder nicht, könnt Ihr nicht wissen.“ Sie blickte Joanna pikiert an. „Und jetzt unterbrecht mich bitte nicht mehr, sondern hört gut zu. Aus meiner Sicht hat Euer Bruder gestern Nacht den Bogen überspannt. Ich bin ebenfalls hartnäckig, wenn es darum geht, meine Ziele zu verfolgen. Aber ich gehe nicht über Leichen, auch wenn man mir das oft unterstellt.“ Lady Tamara sah, wie sie bei dem Wort ‚Leichen‘ zusammengezuckt und blass geworden war und schüttelte den Kopf. „Lord Darkwood lebt und liegt noch bewusstlos im Kräuterhaus.“
„Er ist immer noch bewusstlos?“ Joanna stöhnte auf. „Ich muss sofort zu ihm!“
„Das würde nichts bringen. Ein Wachsoldat sitzt davor und lässt niemanden hinein.“ Die Heiratsvermittlerin betrachtete sie ernst. „Ihr solltet zum Frühstück gehen.“
„Aber warum? Ich will Jake keinen Gefallen tun, nach seinem unmöglichen Verhalten gestern. Sonst glaubt er, ich billige seine Vorgehensweise oder er deutet es als ein Schuldeingeständnis meinerseits.“
Lady Tamara lächelte. „Ihr müsst noch viel lernen über strategisches Vorgehen, Lady Joanna.“
Resigniert zuckte sie mit den Schultern. „Ich kann Euch nicht folgen.“
„Ich bin davon überzeugt, Euer Bruder ist mittlerweile selbst zu der Erkenntnis gekommen, dass seine Handlungsweise im Kräuterhaus falsch war. In seiner Stellung als Earl hätte er besonnener handeln müssen. Lord Darkwood ist einer seiner Studenten. Der Bestrafung hätte unbedingt ein Gespräch unter vier Augen vorangehen müssen. Wenn Ihr zum Frühstück geht, beweist Ihr die Größe, die Euer Bruder gestern Abend nicht hatte. Außerdem rettet Ihr ihn vor einer blamablen Situation gegenüber einem der ranghöchsten Adligen des Königreiches. Das sind zwei wichtige Argumente, wenn Ihr später mit ihm über die wahren Geschehnisse im Kräuterhaus sprecht. Er wird Euch dankbar sein und Euren Wünschen
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