Greywalker
geeigneten Ort zu finden … Ich kümmerte mich um unsere Gefangenen und fing damit an, das Gemäuer mit dem großen Zauberspruch zu belegen. Nach einer Weile traf auch Edward ein und ich half ihm, die Maschine zu bauen, die ihm vorschwebte, bis ich vor Erschöpfung nicht mehr konnte. Er schickte mich fort, damit ich neue Kraft schöpfen konnte.«
Etwas – halb Erinnerung, halb Vision – legte sich auf mich. Ich versuchte, diesen Bildern zu entkommen, aber sie ergriffen von mir Besitz. Auf einmal sah ich eingefallene Gesichter von Männern und Frauen in Lumpen des achtzehnten Jahrhunderts und ich spürte Carlos* Erschöpfung in meinen eigenen Muskeln.
»Am Abend vor Allerheiligen holte er mich. Wir gingen zur Kathedrale und stiegen dort in unseren Keller in der Nähe von La Giralda. Neue Symbole – in Kreide und Kohle, Gold und Blut gezeichnet – zierten nun Wände und Boden. Ich achtete jedoch nicht weiter auf sie, denn das, was wir gebaut hatten, zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.«
Erregung. Hunderte geheimnisvoller Worte und Zeichen umgaben mich, schimmerten auf dunklem Gemäuer.
»Tief unten im Keller knieten die zwei Dutzend Männer und Frauen, die wir gefangen hatten, auf dem Podium der Maschine – alles Kinder der Straße, unbeachtet, verloren. Vor ihren Hälsen befanden sich silberne Messerklingen. Ein Zauber band sie und wirkte auf einen einzigen Moment hin, auf ein Ziel.« Kälte umhüllte mich nun, küsste meinen Nacken und ließ mir die Haare zu Berge stehen. »Sie würden den Schmerz gar nicht erst erfahren, das Entsetzen, ihre Kumpane sterben zu sehen. Ich brauchte keine Qualen, nur den Tod. Manche bettelten und winselten, nachdem wir eingetreten waren, aber auch sie verstummten in Ehrfurcht, als Edward an ihnen vorüberging. Auf diese Weise hat sich seine Macht schon immer gezeigt. Wir gingen in eine Ecke des Raums, stellten uns auf einen Punkt, auf das Zentrum des Zauberspruchs – genau dort, wo die Maschine ihre Kraft ausschütten würde. Sämtliche Symbole liefen hier zusammen und breiteten sich von dort über den Raum aus. Sie pulsierten schon unter der Potenz der Magie, die bald durch sie fließen würde.«
Ich spürte, wie meine Knochen mit dieser Kraft gemeinsam in Schwingung gerieten, aber auch, wie das plötzliche Verstummen der Männer und Frauen Carlos’ stetig steigende Anspannung und sein unterschwelliges Unbehagen für einen Moment auslöschte.
»Er blieb vor einem Seil stehen, das von der Decke herabhing, weit entfernt von der Maschine, während ich noch immer auf dem zentralen Punkt stand.
Jetzt erst verstörten mich einige der Symbole – schwarze Gestalten, ähnlich Trauergästen bei einer Hochzeit –, aber mir blieb keine Zeit, zu protestieren.
›Beginne!‹, befahl er.
Ich sprach, und die Enden des Zaubers suchten einander wie von Geisterhand, miteinander verbunden in ihrer Gier nach Macht. Ich streckte die Arme nach der Maschine aus und Edward zog an dem Seil.«
Die Kraft erzitterte und schüttelte sich, dann brüllte sie, und ich spürte den blitzschnellen Schnitt der Messerklingen.
»Ihre Köpfe rollten herab und die heiße Flüssigkeit, in der ihre Lebenskraft verborgen lag, schoss heraus, ergoss sich wie ein Regen über mich. Meine Haut sog sie auf, mein Körper und meine Seele nährten sich an ihrem Leben und ihrem Tod zugleich. Ihr ungehörter letzter Schrei drang in mich und die Schockwellen ließen mich taumeln und mein Fleisch erbeben. Ihre Macht durchflutete mich und ich sprach den Zauber, hauchte ihm ihr Leben ein, das in mir gebündelt war.«
Ich zitterte bei diesen Erinnerungen des Vampirs, schüttelte mich bei der orgastischen Woge von Leben und Tod durch einen Körper, der nicht der meine war und den ich doch spürte – ehe mich auf einmal Schmerz und Verzweiflung ergriffen.
»Die Ekstase ihres raschen Todes zerbarst, als Edward mir die Klinge in den Rücken stieß. Er sprach ein Wort und leitete das schwarze Blut, das aus meiner Wunde floss, in das Zentrum der Maschine. Die letzten dunklen Symbole flammten auf und ich sank auf die Knie.
Edward stand über mir und rammte mir das Messer in die Brust.
Ich brüllte auf und auch die erneut Ermordeten in mir schrien. Er drehte das Messer hin und her und zerfetzte so das Herz, das mit den Toten geschlagen hatte.«
Schreckliche Qualen und doch keine Möglichkeit mehr, zu schreien.
»Ich heulte auf und starb für sie. Jeder einzelne Tod überrollte mich, der eine schlimmer als der andere.
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