Greywalker
Nekromanten töten?«
»Nicht unbedingt, obwohl die meisten ihrer Rituale nur in der Präsenz des Todes eine Wirkung zeigen. Normalerweise wird das durch ein Opfertier bewerkstelligt. Aber mit Tod meine ich nicht nur tote Körper, sondern die Energieveränderung vom lebenden zum toten Zustand, verstehst du? Ich spreche von der Energie, die ein lebendiges Wesen im Augenblick seines Todes freigibt. So entstehen unter anderem auch Geister. Und wenn man den richtigen Attraktor für die Magie zur Hand hat, der sie einfangen kann, besitzt man für eine gewisse Zeit ungeheure Mengen von Energie und Informationen. Es ist natürlich ausgesprochen gefährlich und es gibt nur wenige, die dazu überhaupt in der Lage sind. Viele von uns können das Kraftfeld spüren, aber Nekromanten können es sich zu Nutzen zu machen. Der Totenbeschwörer gibt ein wenig seiner eigenen Lebensenergie auf, um die neue Energie besser zu beherrschen, zumindest eine Zeit lang. So opfert der Nekromant einen Teil seines Lebens, damit er das Wissen um die Macht des Todes erhält.«
»Grauenvoll«, sagte ich mit einem Schaudern. »Und inwiefern könnte uns das nützen?«
»Nekromanten besitzen die Fähigkeit, dunkle Artefakte herzustellen oder ihre Geschichte zu erforschen. Solche Gegenstände sind immer düster und unheimlich – wie das Harmonium –, denn bei ihrer Erschaffung hat der Tod eine Rolle gespielt.«
»Sind sie schlimmer als andere Artefakte?«
»Manchmal schon. Die Macht vieler dunkler Artefakte rührt von einer Anhäufung verschiedener Kraftfelder her. Jedes Mal, wenn das Objekt für üble Zwecke benutzt wird, bleibt ein Teil der Energie an ihm haften. Die meisten dunklen Artefakte, die von Nekromanten benutzt werden, sind allerdings ungefährlich, da sie für nur einen Zweck geschaffen wurden und deswegen auch nur selten Anwendung finden. So können sie auch keine schlechte Macht aufbauen. Aber das Instrument da …« Sie schüttelte sich.
»Verstanden«, sagte ich. »Aber wie könnte uns ein Nekromant helfen?«
»Ein Nekromant ist in der Lage, sich die Schöpfung eines solchen Artefakts vor Augen zu führen, es zu erforschen. Ich habe keine Ahnung, wie sie es machen. Es ist verdammt unheimlich. Aber wenn wir den Zweck diese Artefakts erfahren könnten und wie es entstanden ist, wüssten wir auch, wie wir es zerstören oder zumindest neutralisieren können. Natürlich ist das nicht einfach. Wenn uns ein Fehler unterläuft, riskieren wir, dass sich seine Macht vervielfältigt, indem es sich unsere Energie aneignet.«
»Es wäre mir lieber, wenn das Ding nicht noch mächtiger würde«, sagte ich. »Kennst du denn einen Nekromanten?«
»Nein. Ich empfinde eine gewisse Abneigung gegen ihre Rituale und außerdem gibt es nur noch wenige von ihnen. Nekromant wird man nicht einfach, indem man übt, bis man es kann. Man besitzt von Geburt an eine Begabung, ein Potential, das gefördert werden muss. Es ist außerdem nicht gerade politisch korrekt, wie du dir denken kannst. Kinder, die ihre Haustiere umbringen, um die Macht zu spüren, enden normalerweise in einer Nervenheilanstalt. Die richtige Art der Umerziehung oder Konditionierung zusammen mit einer Therapie zerstört meist jegliches Potential und bringt die meisten dazu, normal zu werden.«
»Also sind Psychopathen, die Tiere quälen, potentielle Nekromanten?«
»Oh, nein. Nur ungefähr ein Kind in einer Million ist ein potentieller Nekromant und er – oder sie, aber das ist wirklich sehr selten – erfährt vielleicht nie, was diese Macht überhaupt bewirken kann. Sie tun keiner Fliege etwas zuleide. Nur wenige finden tatsächlich heraus, wie es um sie bestellt ist, und werden nicht weggesperrt. Sie überleben lange genug, um genügend Erfahrung zu sammeln und sich wichtige Fähigkeiten anzueignen. Nur aus diesen wenigen werden einmal Nekromanten. Sie sind meist sehr verschwiegen, geradezu paranoid. Was natürlich verständlich ist …«
Endlich fiel bei mir der Groschen. »Mara, was passiert mit Nekromanten, wenn sie sterben?«
»Ich nehme an, das kommt darauf an, wie sie den Tod finden. Die meisten sterben vermutlich nicht wirklich, sondern bestehen in irgendeiner Art fort oder beginnen etwas Neues. Wenn sie den körperlichen Tod überleben, also ihre Seele intakt bleibt, können sie vielleicht noch Macht ausüben, obwohl ich glaube, dass das sehr gefährlich für sie wäre. Die wenige Lebenskraft, die ihnen bleibt, aufs Spiel zu setzen, wäre eine ungeheuerliche Anstrengung.
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