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Greywalker

Greywalker

Titel: Greywalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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sinken.
    »Du siehst es nicht«, flüsterte mir Wygan ins Ohr. »Du bist noch nicht zu dem Platz aufgestiegen, der dir in Wahrheit zusteht. Wertlose Kretins und Schwachköpfe! Sie haben dich gefunden, konnten dich aber nicht zu dem machen, was ich ihnen befohlen hatte.«
    Vor meinem inneren Auge entstanden Bilder: der verrückte Mann in der Gasse; der untote Straßenräuber in meiner Tiefgarage; die Einbrüche … Ich konnte keine ganzen Sätze mehr formen, nur noch Worte ausspucken: »Sie … Sie?«
    Als ob er meine Gedanken lesen würde – vielleicht hatte er sie mir ja sogar eingepflanzt –, lachte er laut auf. Der Klang seiner Stimme geißelte mich. »Du bist zurückgekehrt in diese Welt der Sterblichen – unfertig, nur zur Hälfte vollbracht. Du musst noch geformt werden, ehe du deine wahre Gestalt erhältst. Aber sie haben versagt. Diese Feiglinge! Diese inkompetenten Idioten! Fehlerhafte Werkzeuge wie Alice, die noch an ihren armseligen Halbleben hängen und unbedeutende Ziele verfolgen.« Seine Stimme drang direkt in meinen Schädel. »Eine Ewigkeit habe ich gewartet! Und nun endlich bist du bei mir.«
    Er trat neben mich und beugte sich zu mir herab – eine dünne, reptilienartige Gestalt, in einen schauerlichen Umhang aus Schatten gehüllt, auf dem unheimliche Lichter tanzten. »Aber du stehst nicht so vor mir, wie ich mir das vorgestellt hatte. Du bist noch nicht hineingewachsen. Eingesperrt, blind, schwach! So bist du nutzlos für mich. Wie kannst du gehen lernen, wenn du noch nicht einmal sehen kannst? Aber ich muss dich haben, sonst kann ich nicht übertreten. Du musst sehen, was ich sehe, aber berühren darfst du nichts, fühlen darfst du nichts. Ich werde das aus dir machen, wofür du bestimmt bist.«
    Er streckte* die Hand in den Nebel und zog mit seinen weißen Krallen einen bläulich schimmernden Faden heraus. »Deine Macht ist noch zu schwach. Du musst dich ihr hingeben, musst lernen, musst besser werden. Hier, nimm.«
    Ich zuckte wimmernd zurück. »Nein, nein. Ich will nicht.« Mein Atem dampfte schwach in der Kälte.
    »Lasse ich dir denn eine Wahl?« Er griff mit seiner Klaue in meine Brust und riss sie auf. Doch es war kein einziger Tropfen Blut zu sehen. Ich versuchte zu schreien, blieb aber stumm.
    Der bläuliche Faden spannte sich, vibrierte und kroch über mich – erst über meine Glieder und dann hoch zu meinem Kopf. Er strich mir über die Augen, blendete mich für einen Moment und löste sich auf. Seine Form verschwand, schien in mich einzusinken und die offene Wunde in meiner Brust zu vernähen, ehe er sich gänzlich in mich einbettete.
    Die Schleierwelt leuchtete auf und verblich dann wie Nebelschaden in der Sonne. Form und Farbe des Grau hatten sich verändert. Es war nun belebter, Lichtbrunnen und Funken in pulsierenden Farben ergriffen von ihm Besitz. Es erinnerte an heiße Straßen im Wüstensand und war doch so gewunden wie ein Tornado, wild wie der Wind.
    Die Kabine schien aus weichem Dampf zu bestehen, eingerahmt von schimmernden Fäden. Durch die Wände hindurch konnte ich Queen Anne Hill sehen, von Phantomfeuern erhellt, ehe ein dunkles Nichts alles verschluckte – die Meeresbucht. In der Ferne hörte ich das Hüter-Biest vor Wut brüllen und spürte, wie es sich sammelte, um sich auf uns zu stürzen, seine Zähne gefletscht, die Krallen geschärft und voll unstillbarem Hass.
    Das Grau lebte in mir, vibrierte in mir, wand sich, bohrte sich wie ein übelwollender Weinstock in mich. Der Samen, den Wygan in mich gepflanzt hatte, keimte und schoss in die Höhe. Ich spürte, wie er pulsierte und schrie voller Verzweiflung auf.
    Wygan lachte. »Ja! Du wirst hineinwachsen und zu dem werden, was ich brauche. Aber wir sollten jetzt gehen, bevor der Hungrige hier auftaucht und uns das Fest ruiniert.«
    Er ließ mich los und es war, als würden Kaktusstacheln aus meiner Haut gezogen. Das Grau, das mich umgeben hatte, löste sich nun ganz auf und das Einzige, was blieb, war ein einzelner dünner Faden, der durch meine Brust in meinem Inneren verschwand.
    Ich kniete auf dem Boden neben der Kabinentür. Meine Kleidung und mein Gesicht troffen vor Nässe. Ich kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an, schluckte den bitteren Geschmack hinunter und rang nach Luft. Mit letzter Kraft stand ich mühsam auf.
    »Geht es?«, erkundigte sich Wygan. Er saß noch immer auf seinem Sessel.
    Ich schluckte. »Ich bin am Leben.«
    Er lachte, und der Klang rieb gegen meine Nerven wie gemahlenes

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