Greywalker
Glas. »Mehr oder weniger. Aber pass auf dich auf. Schließlich brauche ich dich noch. Jetzt weißt du, wie es wirklich ist, und kannst dieses Wissen nutzen. Doch du musst noch lernen, damit umzugehen. Sonst könnte dir etwas zustoßen.«
Ich drehte mich zu ihm um und starrte ihn zitternd an. Der Schock saß mir tief in den Knochen. Er erwiderte meinen Blick und lächelte fein. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Das Licht in der Kabine wechselte zu blau, obwohl die gelbe Lampe leuchtete.
»Ich … ich weiß jetzt alles, was ich ertragen kann.«
»Für den Moment vielleicht. Du findest sicher selbst hinaus, nicht wahr?«
Er drehte mir abrupt den Rücken zu, setzte Kopfhörer auf und fing an, das Mischpult zu betätigen. Will Robinson folgte Dr. Smith über mehrere Takte von Led Zeppelin hinweg, während der Videomonitor einen blauen Schatten in Gestalt eines riesigen Reptils an die Wand warf, das mich angrinste.
Ich stürzte aus der Kabine, stolperte und verlor beinahe das Gleichgewicht. Nichts wie weg hier!
»Vergiss mich nicht«, rief er mir mit seiner Schattenstimme hinterher, die mir wie eine nicht spürbare Brise folgte. Ich hörte sein Lachen, bis ich das Gebäude verlassen hatte.
Benommen taumelte ich zu meinem Auto, lehnte mich dagegen und presste mein Gesicht gegen das angenehm kühle Blech. Ich zitterte am ganzen Körper und atmete wie eine Ertrinkende die normale Luft von Seattle ein, um mich davon abzuhalten, laut aufzuheulen. Meine Brust schmerzte an der Stelle, an der Wygan sie aufgerissen hatte. Furchterregende Schreckensvisionen spielten sich vor meinem inneren Auge ab. Ich hasste mich dafür, dass ich vor Angst und Schwäche zitterte und noch mehr, weil ich mich gedankenlos in eine solche Lage gebracht hatte. Mühsam kroch ich auf die Rückbank meines Wagens und rollte mich wimmernd zusammen, während erschreckende Gedanken durch meinen Kopf jagten:
Was bist du? Vergewaltigt, aufgerissen, neu geformt. Was bist du jetzt? Unwissende Närrin. Das hier sind Vampire; abscheuliche Abarten der menschlichen Rasse. Was wir als psychotisch bezeichnen, ist für sie normal. Sie sind Fremde, von der Menschheit abgewandt. Was sie antreibt, ist nicht dasselbe, was dich antreibt. Und das wird es auch nie sein. Nie wieder. Das sind keine Menschen. Das sind keine Menschen! Und du bist es auch nicht. Nicht mehr. Ungeziefer. Halbmonster. Was bist du jetzt?
Ich verlor jegliches Gefühl für die Zeit, hysterisch, allein mit meinem Elend, meiner Verzweiflung und meinem Selbsthass. Nach einer Weile merkte ich, dass ich ganz steif und kalt war und stank. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, den Kopf zu heben, um mich zu übergeben. Mit dem Kopf nach unten hing ich auf dem Rücksitz, zitterte und heulte. Langsam meldete sich mein Verstand wieder zu Wort. Gleich hinter diesen Mauern befand sich ein Vampir und lachte wahrscheinlich immer noch, während ich hier draußen wartete wie ein angebundenes Opferlamm.
Ich musste mich zwingen, vorsichtig zu fahren, obwohl ich eigentlich nur aufs Gas drücken wollte. Meine verquollenen Augen und das Grau, das an jeder Ecke lauerte und mein Blickfeld mit hellen Nebelstreifen eingrenzte, machten es mir schwer, die Straße zu sehen. Ich hielt einige Male an, um tief einzuatmen und mich zu beruhigen. Doch die Panik in mir ließ nicht nach. Die Fahrt nach Hause war noch nie so lang gewesen.
Sechsundzwanzig
Ich wurde durch ein Geräusch aus dem Schlaf gerissen und versteckte mich unter der Decke. Das Summen wollte einfach nicht aufhören und das Bett ächzte, als Will auf dem Nachttisch nach seinem Pieper suchte.
Ich vergrub mein Gesicht im Kissen und jammerte: »Mach, dass es endlich aufhört.«
Er legte sich wieder neben mich, den Pieper auf seiner Brust. »Das ist nur Mikey. Er wollte Bescheid sagen, dass er jetzt zur Arbeit geht.«
»Er arbeitet auch sonntags?«
»Nein, normalerweise ist das meine Aufgabe. Aber Mikey hat sich freiwillig für die Büroarbeit gemeldet, damit ich mal ausschlafen kann.« Er rollte sich zu mir rüber und grinste. »Willst du etwa wieder schlafen?«
Ich spähte unter dem Kissen hervor. »Nein.«
Sein Lächeln wurde breiter, als meine Zehen an seinem Bein entlangfuhren. »Fühlst du dich besser?«
»Viel besser«, erwiderte ich. Wenn ich mich auf Will konzentrierte, musste ich nicht mehr an die vergangene Nacht denken und konnte auch das schimmernde Grau am Rand meines Blickfelds ignorieren.
Ich hatte ganz vergessen, dass ich
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