Greywalker
keine Fliege zu sein. Ich möchte dem Biest im Augenblick nämlich nicht unbedingt begegnen.«
Ben kaute auf seinem Bart herum und sein Blick, den er durch den Raum wandern ließ, war sehr düster. »Sei vorsichtig«, wiederholte er. »Laut Theorie können die meisten Kreaturen des Grau dir nichts antun, aber sie haben es trotzdem getan. Es tut mir wirklich leid, wenn ich dich da im Stich lasse, aber die Theorie ist das einzige, wo ich mich auskenne.«
Ich erwiderte seinen finsteren Blick. »Hör auf. Schuldbekenntnisse können wir momentan nicht gebrauchen. Wir müssen es einfach irgendwie hinter uns bringen.«
Ben starrte betreten auf seinen Schreibtisch und biss sich auf die Lippe. Ich stand auf. Mein Körper fühlte sich an, als ob ich neunzig wäre. »Ich muss ein Nickerchen machen, wenn ich nicht tot umfallen will. Ich habe noch viel vor mir.«
Mara begleitete mich die Treppe hinunter. Sie wirkte sehr bedrückt.
In der Eingangshalle hielt sie mich noch einen Moment zurück. »Du bist noch nicht so weit. Du musst noch üben. Wer auch immer dir das angetan hat – ich würde denjenigen dafür am liebsten umbringen.«
»Ich glaube nicht, dass das viel bringen würde. Was ich gegen das hier tun kann –«, ich zeigte auf meine Brust, »– weiß ich noch nicht. Aber ich muss mich sowieso erstmal um anderes kümmern. Solange ich das noch kann.«
»Du musst wirklich aufpassen, Harper. Du bist eigensinnig und eine zupackende Rationalistin. All das ist wahrscheinlich ein Albtraum für dich und du hoffst immer noch, dass du irgendwann aufwachst und dass dann alles verschwindet. Aber das wird in diesem Fall nicht passieren.«
Ich schnaubte. »Das habe ich mittlerweile auch gemerkt. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich das überstehe, ohne dabei umzukommen.«
»Und was ist mit Cameron? Wirst du diesen Fall abgeben?«
Ich seufzte auf. »Das weiß ich noch nicht. Und bitte versuch nicht, mich dazu zu überreden.«
»Keine Sorge. Aber es gibt da etwas, was du wissen solltest. Ein Vampir kann dich mit seinem Willen beeinflussen, aber du kannst dasselbe bei ihm tun. Verstehst du, was ich meine? Du kannst einen Vampir im Grau an ein Versprechen binden. Kapiert?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
Sie seufzte. »Denk darüber nach. Wenn du dich mit ihnen auseinandersetzen musst, wirst du das früher oder später brauchen. Aber jetzt erhol dich erstmal.«
»Danke, das werde ich.«
Ich fuhr nach Hause und legte mich hin. Ich schlief unruhig und träumte von nicht greifbaren Bedrohungen. Als ich aufwachte, ging gerade die Sonne unter. Genau wie bei einem Vampir, dachte ich.
Ich setzte mich im Wohnzimmer auf den Boden und betrachtete den schwarzen Bildschirm meines Fernsehers. Sein blindes, dunkles Auge starrte ungerührt zurück. Chaos krabbelte auf meinen Schoß und suchte sich einen Weg unter meinen Pullover, während ich nachdachte.
Ich hatte keine Wahl, da ich weder klug noch feige genug war, um aufzugeben. Ein wenig Erholung und die Ruhe, die mein Besuch bei den Danzigers mir gebracht hatte, halfen, um meine Erschöpfung etwas zu lindern. Aber ich fühlte mich immer noch geschwächt. Überall juckte, kratzte und schmerzte es, als ob ich krank wäre. Ob das die Vorzeichen meines drohenden Untergangs waren? Eine Weile spielte ich etwas planlos mit Chaos, bis er darauf bestand, ein Nickerchen einzulegen. Ich legte ihn in seinen Käfig, warf mir bequeme Klamotten über und verließ die Wohnung.
Als Erstes ging ich zu Adult Fantasies.
Carlos befand sich unten im Laden und hatte gerade den unglücklichen Jason unter Beschuss. Ich konnte sehen, dass sich um sie herum ein tobender Wirbelsturm gebildet hatte. Jason kauerte in einer Ecke und blickte zu Boden.
»Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid …«, jammerte der Junge. Ich zuckte mitleidig zusammen.
Carlos antwortete voller Verachtung: »Du bist wirklich erbärmlich! Und jetzt räum hier auf, und wenn ich deine Hände noch einmal irgendwo sehe, wo sie nicht hingehören, hacke ich sie dir persönlich ab.«
Jason sah so aus, als müsste er sich jeden Augenblick vor Angst übergeben. Er taumelte ein paar Schritt zurück und rannte dann zur Treppe, nachdem Carlos ihn aus seinem Blick entlassen hatte. Nun wandte sich der Vampir mir zu. Als er mir in die Augen sah, traf es mich wie ein Stein in der Magengrube. Mein Brustkorb schnürte sich zusammen und meine Schultern fielen nach vorn. Er legte den Kopf zur Seite und sah mich mit hochgezogenen
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